Stam, Saarinen, Colombo und Mendini - bahnbrechende Löwen der Designgeschichte
Gut gebrüllt, Löwe!
"Oft ist's der eigne Geist, der Rettung schafft/Die wir beim Himmel suchen. Unsrer Kraft/
Verleiht er freien Raum, und nur dem Trägen/Dem Willenlosen stellt er sich entgegen.”
— Ende gut, alles gut von William Shakespeare
Ein Blick in den Kalender verrät uns, dass die Monate Juli und August die Geburtstage von vier Persönlichkeiten aus der Designwelt enthalten. Mart Stam, Eero Saarinen, Joe Colombo und Alessandro Mendini waren ihrerzeit alle Pioniere, die die Designgeschichte nachdrücklich geprägt haben. Jeder von ihnen ging in mindestens einer Hinsicht als “Erster” in die Geschichte seines Gebietes ein. Und wie sich herausstellt, sind sie außerdem alle - astrologisch gesehen - Löwen.
Wir sind zwar nicht sehr bewandert in Sachen Astrologie, aber wir halten es für durchaus für amüsant, die genannten Designlegenden mit besonderem Hinblick auf Charakteristika, die dem Sternzeichen Löwe zugeschrieben werden, etwas genauer zu betrachten. Zu diesen Kennzeichen gehören: leidenschaftlich kreativ, unendlich optimistisch, unverblümt freimütig, unverfroren ehrgeizig und verführerisch charmant. Durch all diese Eigenschaften ist der Löwe als geborener Anführer bekannt. Werfen wir also einen Blick darauf, ob unsere Designer-Löwen wirklich im Einklang mit den Sternen stehen!
Mart Stam (5. August 1899)
Mart Stam ist bekannt und unvergessen durch den von ihm entworfenen Freischwingerstuhl und einer Handvoll Häuser der frühen Moderne. Der niederländische Architekt war ein engagierter Idealist, der fest entschlossen war, Design dazu zu nutzen - um es in seinen Worten zu sagen - “die Welt zu verändern.” Stam war kein Mann für halben Sachen und das spiegelt sich in seiner Praxis, in seinen Schriften und in seinen politischen Bemühungen wider.
Im Laufe seine Karriere setzte Stam sich für radikale ästhetische Vollkommenheit ein, gepaart mit ausgedehnter Utopie - und das zu einem Zeitpunkt, an dem andere Modernisten begannen, die Strenge der funktionalistischen Theorie zu mildern. Während des Ersten Weltkrieges kam er als Kriegsverweigerer ins Gefängnis und entwickelte sich zu einem leidenschaftlichen Kommunisten. In den 1920er Jahren gewann Stam einen Rechtsstreit gegen Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe, woraufhin ihm das Recht zugesichert wurde, sein Freischwinger-Design als erstes seiner Art zu bezeichnen. Im darauffolgenden Jahrzehnt führte ihn sein Idealismus in die Sowjetunion und anschließend in die DDR, wo er glaubte, dass sein strenger Designansatz Zuspruch finden würde. Seine Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen, führte jedoch zu einschneidenden Auseinandersetzungen mit vieler seiner Kollaborationspartner, weswegen sie ihn nicht selten baten, die Szene einfach wieder zu verlassen.
In den 1960er Jahren wandte er sich mit gebührendem Stolz vollständig von seinen utopischen Zielen ab, was sowohl durch Desillusionierung als auch Krankheit bedingt war. Bis zu seinem Tod im Jahr 1986 waren er und seine Frau ständig auf der Reise und lebten in Hotels und an Kurorten. Über das Ende von Stams Leben ist nicht viel bekannt. Ein Mitarbeiter des Möbelherstellers Tecta konnte, kurz vor Stams Tod, seine Telefonnummer ausfindig machen und rief ihn an. Angeblich reagierte Stam mit der Aussage “ich kenne niemanden namens Mart Stam” und legte auf.
Eero Saarinen (20. August 1910)
Zu den unzähligen Beiträgen, die der finnisch-amerikanische Architekt Eero Saarinen
zur Designgeschichte beitrug, gehören der Womb Lounge (1947-48) und die Tulip Collection (1956 ) für Knoll gemeinsam mit dem Case Study House #9 (in Zusammenarbeit mit den Eames-Brüdern, 1945-49), dem Saint Louis Gateway Arch (1947-65), dem General Motors Technical Center (1948-56), der MIT Chapel (1950-55), dem Miller House (1953-57), und dem TWA Terminal (1956-62). Und diese Liste seiner historischen Meilensteine ist nicht mal ansatzweise vollständig. Saarinen war als Überflieger bekannt, der seiner zweiten Frau gegenüber einmal äußerte, dass sie verstehen müsse, dass die Architektur seine “wahre Liebe” sei.
Das Time Magazine bildete ihn 1956 auf der Titelseite ab und beschrieb ihn als “ein Dynamo voller unerbittlicher Energie.” Saarinen gewann seinen ersten Designwettbewerb im Alter von 12 Jahren mit einer Miniatur-Konstruktion aus Streichhölzern. Als er 20 war, entwarf er Möbel für Gebäude in Cranbrook, die sein Vater, ein angesehener Architekt, entworfen hatte. Er besuchte die Yale School of Architecture, wo er “so viele Schulpreise gewann (inklusive eines Preises für seine Trinkfestigkeit), dass er die Medaille für das Gewinnen der meisten Preise erhielt.” Selbstverständlich schloss er sein Studium mit Auszeichnung ab. 1948 überzeugte er mit seinem Design für das St. Louis Jefferson National Expansion Memorial - so entstand der berühmte Bogen der Stadt. Im Architekturwettbewerb für die Gedenkstätte schlug er sogar seinen eigenen Vater. Saarinens Tulip Chair (auch bekannt als Pedestal Chair) wird als erster Stuhl mit nur einem Bein bezeichnet, was er selbst als seinen persönlichen Triumph über die “Elendsviertel von Beinen in U.S.-amerikanischen Haushalten” beschrieb.
Saarinens unermüdliches Engagement für seine kreative Praxis findet Ausdruck in einer legendären Anekdote: Um 8 Uhr morgens an Neujahr ging er in sein Büro, wo er lediglich seine Assistenzkraft vorfand. Er schaute sich um und verlor die Beherrschung: “Wo zur Hölle sind denn alle?” Von einem derartig produktiven Talent war sicherlich nichts anderes zu erwarten. Traurigerweise waren Saarinens Leben und sein kreatives Wirken nicht von sehr langer Dauer, da er im Alter von 51 Jahren an einem Gehirntumor starb.
Joe Colombo (30. Juli 1930)
“Die außergewöhnliche Entwicklung audiovisueller Prozesse zeigen uns erhebliche Möglichkeiten auf. Entfernungen werden nicht mehr länger von Bedeutung sein … Mobiliar wird verschwinden … der Lebensraum wird allgegenwärtig sein. Wenn nun die für die menschliche Existenz notwendigen Elemente mit den einzigen Anforderungen an Manövrierfähigkeit und Flexibilität geplant werden könnten, dann würden wir ein bewohnbares System schaffen, das an jede Situation in Raum und Zeit angepasst werden könnte.” So die Vorhersage des italienischen Designers Cesar Joe Colombo
aus einer Vorlesung im Jahr 1960.
Colombo war ein tiefgründiger Visionär, der unendliche Möglichkeiten annahm und ungeduldig die Zukunft herbei sehnte, wie das oben genannten Zitat veranschaulicht. Obwohl er sehr jung, im Alter von 41 Jahren, an einem Herzinfarkt verstarb, beeinflusst sein innovatives Vermächtnis die Denkweise der nachfolgenden Generationen von Designer*innen bis in die Gegenwart.
Colombo, der stets als besonders adrett und charmant bezeichnet wurde, sprach eine ganz eigene futuristische Designsprache. Diese zeichnete sich aus durch den Einsatz modellierter, biomorpher Kunststoffformen, die stets modular, anpassungsfähig und flexibel waren - und nirgendwo kamen scharfe Ecken zum Einsatz. Er schaffte es, alltäglichen Haushaltsprodukten, Dynamik einzuhauchen. Einschlägige Beispiele sind unter anderen seine Acrilica Lamp (1962), der Elda Chair (1963), die Coupé Lamp (1966), der Tube Chair (1969–70) und das Boby Storage System (1969). Sein stapelbarer Universale Chair für Kartell (1965-68) war der erste Stuhl, der durch Spritzgusstechnik vollständig aus Kunststoff gefertigt wurde und einer der ersten Kunststoffstühle überhaupt, die im Handel erhältlich waren.
Colombo entwarf aber nicht nur individuelle Objekte - er entwarf neue Lebensweisen. So brachten seine Kitchen Box (1963), das Cabriolet Bed (1969) und die Total Furnishing Unit (1972) das Verständnis eines Komplettsystems in kompakter Tragbarkeit auf eine ganz neue Ebene. Zu den Funktionen zählten Fernseher, die sich in die Decke einfahren ließen, schwenkbare Wände mit integrierten Minibars und Fernbedienungen, die einen Ventilator einschalten, eine Zigarette anzünden und einen Anruf tätigen könnten. Bereits in den 1960er Jahren erzählte er seinem Designkollegen Gae Aulenti von seiner Vision, dass man Telefone bald in Taschen mit sich tragen werde. Colombo war ganz einfach seiner Zeit voraus.
Alessandro Mendini (16. August 1931)
Der italienische Architekt, Designer, Maler, Journalist, Redakteur, Kritiker und Theoretiker
Alessandro Mendini war ein einzigartiges Multitalent. Zwischen den 1970ern und seinem Tod Anfang dieses Jahres spielte Mendini eine beispiellose Rolle bei der Erweiterung des weltweiten Verständnisses dessen, was Design ist und was es sein kann. Er arbeitete beharrlich daran, das Paradigma von der Moderne in die Postmoderne und darüber hinaus zu verlagern, insbesondere durch seine unvergleichbaren Ideen zu radikalem Design, banalem Design, Re-Design und dem symbolischen Wert von Designobjekten.
Im Laufe der Zeit entwickelte Mendini revolutionäre und wegweisende Designprojekte, von Global Tools, Alchimia und Memphis bis zu der Gründung der Domus Academy und seinem eigenen Studio Atelier Mendini. Dies wurde stets von seiner provokativen redaktionellen Arbeit für Magazine wie Casabella, Modo und Domus begleitet. Die angesehene Designexpertin Alice Rawsthorne sagte jüngst über ihn: “Selbst wenn Sie noch nie von Alessandro Mendini gehört haben, wird seine Arbeit Einfluss auf Sie gehabt haben. Das liegt daran, dass wir ohne ihn anders leben würden.”
Auf Mendinis Konto gehen eine Vielzahl von Neuheiten, da er ständig bestrebt war, das zu tun, was niemand sonst tat. Sein bekanntestes Werk ist sein ikonischer Proust Lounge (1978), bei dem er einen gefunden Vintage Rococo Revival Sessel im pointillistischen Stil des Malers Paul Signac von Hand bemalte, um das Bild von Marcel Proust und seinen romantischen Schriften wiederzugeben. Weniger bekannt aber genauso lyrisch sind sein mit Erde gefüllter Terra Chair (1974), der performativ in Flammen gesetzte Lassù Chair (1974) und seine ikonoklastische Überarbeitung von Breuers Wassily Chair (1978). Unvergessen sind auch all seine exzentrischen architektonischen Meisterwerke, wie das extravagant farbenfrohe Groninger Museum (1988-1994).
Obwohl Mendini unentwegt und aufrichtig bestrebt war, kritische Aufmerksamkeit auf die Kehrseiten der konsumorientierten Kultur zu richten, war er alles andere als ein langweiliger Spaßverderber. Ganz im Gegenteil: seine, für ihn charakteristische, inspirierende Mission, Design an die Kunst anzunähern, erklärte er folgendermaßen: “Ich denke, dass ein Objekt nicht nur funktional sein muss, sondern auch eine Seele braucht und Freundlichkeit ausdrücken soll.”
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Text von
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Wava Carpenter
Seit ihrem Studium in Designgeschichte an der Parsons School of Design hatte Wava schon in vielen Bereichen der Designkultur den Hut auf: sie lehrte Designwissenschaft, kuratierte Ausstellungen, überwachte Auftragsarbeiten, organisierte Vorträge, schrieb Artikel und erledigte alle möglichen Aufgaben bei Design Miami. Wava lässt den Hut aber im Büro – auf der Straße bevorzugt sie ihre Sonnenbrille.
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Übersetzung von
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Pia Buchty
Pia wurde in Aachen geboren und wuchs im Süden der Niederlande auf. In Berlin verliebte sie sich, als sie die Stadt das erste Mal im Alter von 13 Jahren besuchte - danach stand für sie fest, dass sie dort leben würde. Nach 10 Jahren in der Hauptstadt genießt die sprachbegeisterte Studentin vor allem die vielseitige Natur, die die Stadt umgibt und die sie gemeinsam mit ihrer spanischen Hündin Lina erkundet. Momentan schreibt Pia ihre Masterarbeit in der Amerikanistik über Buffy the Vampire Slayer - eine Heldin, die sie schon seit ihrer Kindheit begleitet.
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