Andrea Scarabelli von 1+1 Historical Design Gallery geht den Weg des Kurators


Design auf italienische Art

Von Audrey Kadjar

 1+1 Historical Design Gallery hat sich als Onlinegalerie auf italienisches Design des 20. Jahrhunderts spezialisiert – in ihrer beeindruckenden Sammlung finden sich Arbeiten von den großen Talenten des Midcenturys wie Franco AlbiniOsvaldo BorsaniGabriella Crespi und Ettore Sottsass. Aber die Mailänder Galerie hat nicht nur erstklassiges Design im Angebot, sondern organisiert zudem auch immer wieder intelligente und durchdachte Ausstellungen, die sich oftmals auf der Schwelle zwischen Kunst und Design bewegen. Das aktuelle Projekt Wonder Modern bringt anlässlich der Architekturbiennale 2018 in Venedig Möbel, Beleuchtung und Dekor mit zeitgenössischer Architekturfotografie zusammen.

Wir trafen uns mit Unternehmer und 1+1-Gründer Andrea Scarabelli, um mit ihm über den kuratorischen Aspekt von Vintagehandel zu sprechen.

Audrey Kadjar:  Seit wann interessieren Sie sich für Design und wie kamen Sie dazu, eine Galerie für italienische Arbeiten aus dem 20. Jahrhundert zu eröffnen?

Andrea Scarabelli:  Ich habe zwar sehr lange im Verlagswesen gearbeitet, aber Kunst und Design haben mich schon immer interessiert. Ich bin gebürtiger Mailänder, Design und Architektur gibt es in meiner Heimatstadt an jeder Ecke. Man befasst sich unbewusst eigentlich pausenlos damit – selbst, wenn man nur für einen kurzen Spaziergang vor die Tür geht. Bei Ausstellungen und Messen fand ich dann heraus, dass mich historisches Design mehr interessiert als zeitgenössisches. Mir gefallen auch viele zeitgenössische Designer*innen, aber die Mitte des 20. Jahrhundert war eine ganz besondere Zeit für das Design – das Italien der 1940er und der 1960er, besonders Mailand, spielte dabei eine wichtige Rolle. 

Etwa 2010 fing ich an, für mich selbst Möbel zu kaufen und kam ziemlich schnell auf die Idee, sie an Sammler*innen weiterzuvermitteln. Ich würde mich selbst nämlich nicht wirklich als Sammler bezeichnen – mir geht es nicht um den Besitz von Möbeln. Mir macht es einfach Spaß, Design zu kaufen, zu studieren und dann andere Leute zu suchen, die sich daran erfreuen können. Für eine Weile arbeitete ich mit another gallery zusammen, entschloss mich aber schnell dazu, eigene Wege zu gehen. Mir war der persönliche Bezug zum Geschäft wichtig, weil ich nicht einfach Design verkaufen, sondern es vielmehr kuratieren wollte. Mir liegt viel daran, spezifische Projekte zu realisieren, die sich mit zeitgenössischer Ästhetik und Praxis auseinandersetzen.

Händler*innen sollten meiner Meinung nach eine Art Filter für ihre Kundschaft sein. Es geht darum, die richtige Vorauswahl zu treffen und Fälschungen von vornherein auszuschließen. Der Margherita Chair von Franco Albini für Bonacina (1951) Foto © 1+1 Historical Design Gallery
Die Alberello Stehlampe von Stilnovo (ca. 1960er) Foto © 1+1 Historical Design Gallery
Die Mod. 566 Tischlampe von Gino Sarfatti für Arteluce (1956) Foto © 1+1 Historical Design Gallery
AK:
Warum haben Sie sich für eine Onlinegalerie und nicht für einen richtigen Laden entschieden?

AS:  Ich kann mich online komplett frei bewegen! Ein physischer Raum bringt auch immer Grenzen mit sich. Ich kann zwar nicht ausschließen, dass ich irgendwann nicht doch einen eigenen Laden eröffnen werde, aber gerade gefällt mir mein Format ziemlich gut. Ich profitiere von den Vorteilen beider Welten: ich kann für Veranstaltungen oder für meine Ausstellungen den idealen, auf die jeweilige Designepoche zugeschnittenen Ort auswählen, ohne mich dabei mit den Alltagsproblemen rumschlagen zu müssen, die ein eigener Laden und der persönliche Umgang mit Kund*innen mit sich bringt.

AK:  Was sind für Sie die größten Herausforderungen Ihres Berufsalltags?

AS:  Ich muss ständig aufs Neue die Balance zwischen zu wenigen und zu vielen Produkten finden. Man muss außerdem ganz schön aufpassen, nicht an Fälschungen zu geraten. Händler*innen sollten meiner Meinung nach eine Art Filter für ihre Kundschaft sein. Es geht darum, die richtige Vorauswahl zu treffen und so beispielsweise Fälschungen von vornherein auszuschließen. Leider begegne ich immer wieder Händler*innen, die genau das Gegenteil tun.

AK:  Wie finden Sie neue Produkte? Gibt es dafür bestimmte Kriterien und hören Sie einfach auf Ihr Bauchgefühl?

AS:  Die richtige Strategie ist sehr wichtig. Meistens habe ich keine bestimmten Arbeiten im Kopf, aber es gibt ein paar Grundregeln: ich konzentriere mich vor allem auf den Bereich Beleuchtung, am liebsten aus der Zeit zwischen den 1940ern und 1960ern. Außerdem halte ich mich an bestimmte Lieblingsdesigner*innen und versuche, Standardausführungen zu vermeiden. Und manchmal mag ich es ungewöhnlich. Ich habe schon Dinge gekauft, die ich immer noch nicht genau zuordnen kann. Das führt gelegentlich zu sehr zeitaufwändigen und nicht immer erfolgreichen Recherchen – aber auch das gehört dazu.

AK:  Was fasziniert Sie so am italienischen Midcentury?

AS:  Die Designs, die in Italien direkt nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, waren meistens das Ergebnis erfolgreicher Teamarbeit zwischen innovativen, visionären Unternehmer*innen, Architekt*innen, Designer*innen und Künstler*innen.

AK:  Welche Designs machen Sie glücklich?

AS:  Alles, was ich von Gino Sarfatti besitze! Für mich sind seine Lampen und Leuchten einmalig.

AK:  Wer ist Ihr*e Lieblingsdesigner*n?

AS:  Ebenfalls Sarfatti. Seine Arbeiten sind einfach zeitlos – technisch und poetisch zugleich.

AK:  Lassen Sie uns über die Ausstellung Wonder Modern sprechen, die Sie vor kurzem im Rahmen der Architekturbiennale in Venedig ausgerichtet haben. Wie sind Sie darauf gekommen, die Beziehung zwischen Nachkriegsarchitektur und -design anhand von drei zeitgenössischen italienischen Fotografen aufzuzeigen?

AS:  Es fing damit an, dass ich eine temporäre Designausstellung für die Architekturbiennale 2018 organisieren durfte – an einem ganz besonderen Ort auf der Zattere Promenade. Die Räume sind typisch venezianisch eingerichtet, mit Holzbalken und Wandverkleidungen aus Marmor, und wurden zum ersten Mal nach vielen Jahren für mein Projekt wiedereröffnet. Ich wusste sofort, dass ich Arbeiten von Franco Albini, Osvaldo Borsani, Gino Sarfatti, BBPRLuigi Caccia Dominioni und Max Ingrand zeigen wollte.

Gleichzeitig wollte ich aber auch einen direkten Bezug zur Biennale herstellen, mich also stärker auf Architektur konzentrieren. Deshalb bat ich die beiden Kuratorinnen Federica Rasenti und Giulia Ricci, eine Gegenausstellung zu konzipieren, die sich mit der Beziehung zwischen moderner italienischer Architektur und der damaligen Designkultur auseinandersetzt. Sie entschieden sich für drei Architekturfotograf*innen, die speziell für die Ausstellung jeweils ein Foto machten: Francesca Iovene wählte die San Giovanni Bono Kirche von Arrigo Arrighetti in Mailand, Giovanna Silva fotografierte die Casa alle Zattere von Ignazio Gardella, unweit der Ausstellungsräume in Venedig, und Federico Torra lichtete die Casa Bertolotto-Dondo in Bargeggi ab.

AK:  Wunderbar! Sind Sie schon dabei, die nächsten Ausstellungen zu planen? Was steht für 1+1 Historical Design Gallery als nächstes an?

AS:  Natürlich! Ich werde mich mit meiner Galerie weiterhin darauf konzentrieren, schöne und einzigartige Arbeiten zu finden – sowohl für Sammler*innen als auch für Expert*innen. Ich sehe es aber auch als meine Aufgabe, diese Designs zu hinterfragen und in einen neuen Kontext zu stellen. Letztes Mal ging es um Architekturfotografie, aber das nächste Projekt könnte sich genauso gut mit zeitgenössischer Kunst, Design oder etwas ganz anderem befassen. Für mich gibt es keine Grenzen, wenn es um Kultur, Kunst und kreative Ausdrucksformen geht.

AK:  Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack. Könnten Sie uns zum Abschluss ein paar Einrichtungsideen mit auf den Weg geben?

AS:   Am wichtigsten ist es, das Ganze langsam anzugehen und nicht sofort einen ganzen Raum auf einmal einzurichten. Außerdem soll Design zwar schön aussehen, aber einige wenige, dafür richtig gute Stücke sind mehr wert als ein ganzes Dutzend mittelmäßiger Ware. Zu guter Letzt spielt Eleganz eine wichtige Rolle. Gleichzeitig sollte das Einrichten Spaß machen, also nur Mut – denn wer nicht wagt, der nicht gewinnt!



 

  • Text von

    • Audrey Kadjar

      Audrey Kadjar

      Audrey ist in Amerika geboren, hat französische Wurzeln und ist in zahlreichen Ländern aufgewachsen. Bevor sie bei Pamono anfing, studierte sie Kunstgeschichte in London und arbeitete in der Kulturindustrie. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist an der perfekten Übersetzung zu arbeiten, schreibt sie für zahlreiche Kulturmagazine, arbeitet an ihrem experimentellen Zine oder vertieft sich in Kunst- und Fotografieprojekte.