Rückblick auf einen Pariser Meilenstein: die Art Déco Expo 1925


Stil der Moderne

Von Stéphane Boudin-Lestienne

Zwischen April und Oktober 1925 richtete die französische Regierung in Paris eine der größten und einflussreichsten Veranstaltungen für Design und dekorative Kunst aus, die die Welt je gesehen hatte. Unter dem Namen Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes brachte diese Auswahl an Ausstellungspavillons, die insgesamt fast die Größe einer Weltausstellung erreichten, Arbeiten der talentiertesten Künstler, Architekten und Designer Frankreichs jener Zeit zusammen – Jacques-Émile RuhlmannJacques AdnetJosef Hoffmann, um nur einige zu nennen – sowie Projekte einer kleinen Auswahl von internationalen Designkoryphäen wie Victor Horta und Josef Hoffmann. Dahinter stand die wirtschaftliche Idee, Exportmärkte für französische Luxusgüter zu entwickeln. Doch für die meisten Teilnehmer gab es eine subtilere, idealistischere Motivation – die Sehnsucht nach einer gemeinsamen Stimmer, einer Kreativbewegung, die das 20. Jahrhundert als neue Ära der erhabenen französischen Kultur prägen würde.

Für eine kurze Zeit entstand aus diesem Ereignis ein gänzlich neuer französischer Stil; der Stil, der heutzutage gemeinhein als Art Déco bekannt ist, und sich damals seinen Weg in die urbanen Zentren der ganzen Welt bahnte. Doch wie des Zauberers Pyropapier, leuchtete diese opulente Ästhethik nur kurz hell auf, um dann schnell zu verpuffen und Moderne wie auch einem demokratischer ausgerichtetem Designkonzept Platz zu machen. 

Die Beweggründe hinter der Ausstellung

Die Idee einer bedeutenden Ausstellung für dekorative Kunst in Paris entstand bereits 1907. Im damligen Paris fand man in hoher Dichte professionellen Künstler wie in keiner anderen europäischen Stadt und französische Handwerkskunst galt vielen als wichtiges Kernelement ihrer nationalen Identität. Dennoch hing Frankreich in Bezug auf Modernisierungmaßnahmen weit zurück. Industrialisierte Modelle und maschinelle Prozesse setzen sich nur langsam durch. So drohte die internationale Machtposition  im Bereich luxuriöser Wohnungseinrichtungen verloren zu gehen. Öffentliche und private Vertreter des französischen Exportmarktes arbeiteten für das Programm der Expo Hand in Hand: Kooperationen zwischen Kunst und Industrie sollten entstehen und moderne Anwendungsbereiche für traditionelles Handwerk erschlossen werden, So sollte einen moderner, französischer Stil gefunden werden, der die internationale Konkurrenz in den Schatten stellte. 

Paris' intellektuelle Elite stellte sich jedoch einer noch größeren Herausforderung: die Wiederbelebung der dekorativen Künste als essentiellste, wichtigste Kunstform des 20. Jahrhundert, die Darstellung eines neuen, modernen Lebensstils in einer Ära des Friedens (nach den Jahren des Ersten Weltkrieg) und der Höhepunkt aller Verbesserungen in einer industriellen Gesellschaft. Mit anspruchsvollen Bekanntmachungen zur Bedeutung der Einkehr von Kunst in den Alltag in vielen damaligen Publikationen – Art & Decoration, Art & Industry, The Art of the House, usw. - wurden die Erwartungen an die Messe gesteigert und der Wettbewerb um die beste Herangehensweise intensiviert. So oder so waren sich jedoch alle einig, dass es an der Zeit wäre für einen neuen Stil, der die Rückkehr zur Ordnung widerspiegeln würde. 

Die Expo 1925 und Art Déco

Mitten im Herzen von Paris gelegen, erstreckte sich die Expo auf beiden Seiten der Seine rund um Pont Alexandre III und zog sich über die Esplanade des Invalides. Zahlreiche französische Landesregierungen, 18 ausländische Staaten und viele Hersteller sowie Privatunternehmen installierten Ausstellungen in den aufwendigen Pavillons, die extra für diese Gelegeneheit erichtet wurden und deren Zentrum das Grand Palais darstellte. Einige Designer schufen spezielle Clubhouse-Räumlichkeiten, am besten veranschaulicht durch Jacques-Émile Ruhlmanns L'Hôtel du Collectionneur. Ruhlmann – ein Genie der der Herstellung der dekorativen Künste und Held jener Zwischenkriegsgeneration – entwarf das Hôtel, um das Interesse von Silberliebhabern zu wecken. Mehr als jede andere Präsentation der Expo feierte sie die damals gegenwärtige Vorliebe an Symmetrie und Zurückhaltung, die gleichzeitig zurückblickte aufs 18. Jahrhundert und auf die aufkommende Bewegung der Moderne vorausschaute.


Der Begriff „Art Deco“ wurde gemeinhin bis in die 1960er Jahre nicht gebraucht. 1925 nannte man den Stil, den man mit den Expo-Ausstellungen verband, noch „Style Moderne“, in Anbetracht der Idee, dass entsprechende Werke beispielhaft für die Moderne stehen sowie als auch die Ideale französischer Handwerkstradition transportieren. Während klare, geometrische Formen vorherrschten – welche in der Ansicht des Art Deco Stärke und Monumentalität darstellten -, verliehen unvorhersehbare Ornamente dem Erscheinungsbild eine frische, sinnliche Kraft. Exotische Motive, oft adaptiert von afrikanischen Kulturen und Kulturen aus dem fernen und nahen Osten, wurden in edlen Materialien neuer Ausdruck verliehen. Seltsamerweise fanden sich sogar außerirdische Motive, inspiriert von Kubismus, Fauvismus, Futurismus und anderen avantgardistischen Strömungen, Eingang in die bildenden Künste. Der daraus resultierende Eklektizismus wurde von der geteilten Zustimmung zu exzellenter Handwerkskunst und luxuriösen Materialien zusammengehalten. Dramatische Kunstwerke wie die mit der Haut von Stachelrochen überzogenen Kommoden von André Groult, die professionell lackierten Tafeln von 
Eileen Gray, die mit Horn-Intarsien versehenden Stühle von Pierre Legrain oder die handbemalten Porzellanvasen von Henri Rapin bildeten dabei das absolut höchstmögliche Maß an Raffinesse. 

Tradition vs. Avantgarde

Vor dem frühen 20. Jahrhundert war der einzige Weg die konservativen französischen Kunstakademien – also jene Institutionen, welche das künstlerische Schaffen kontrollierten – zu umgehen ein Ansatz, der sich Regionalismus nannte. Diese Bewegung erfuhr nach dem Ersten Weltkrieg in Frankreich zunehmende Bedeutung und bildete den Ausgangspunkt vieler Expo-Pavillons. Im Französischen Dorf beispielsweise, einer Ansammlung von 15 Provinzpavillons, dominierte der Regionalismus. Dennoch stellten sich diese Ausstellung als nicht sonderlich überzeugend dar, war ihr regionalistischer Ansatz doch in Wahrheit nichts weiter als das Wiederkäuen lokaler Traditionen, denen es an Kreativität fehlte. Diese französischen Beiträgen scheiterten – mit Ausnahme von ein bis zwei, zu denen auch jene von André Ventre gehörten – daran, Tradition in eine moderne Sprache zu übersetzen.

Josef Hoffmann's sketch for the entrance door of the Austrian Pavilion © MAK / Georg Mayer
Josef Hoffman tappte im österreichischen Pavillon nicht in diese Falle. Seine Wand aus gewellten Formen interpretierte regionale Muster der Holzverarbeitung neu und bediente sich erfolgreich völkischen Traditionen aus Zentral- und Osteuropa, ohne diese zu parodieren. Als Erbe der Wiener Sezession und der Wiener Werkstätte schuf Hoffmann eine ästhetische Kohärenz zwischen der Außenfassade und den ausgestellten Objekten im Inneren, insbesondere durch seine Art Textilien und Wandtapeten zu nutzen, welche ihm beide sowohl kommerziellen als auch Erfolg bei den Kritikern einbrachten. Seine Herangehensweise, das populäre nationale Repertoire um eine moderne Syntax zu erweitern, war auch der Ausgangspunkt für Josef Gočár, der den sehr strukturellen tschechischen Pavillon entward, sowie für Józef Czajkowski, dessen polnischen Pavillon von einem fantastischen Kristallturm gekrönt wurde.

Es war jedoch der niederländische Pavillon, entworfen von J. F. Staal, einem Vertreter der Amsterdamer Schule, der dem Regionalismus eine ungeahnte Form verlieh. Staal bediente sich vielen lokalen Traditionen aus den Niederlanden – sei es die Verwendung von Backstein bis hin zu der typischen Liniengebung des Daches – und mischte dies mit dekorativen Schnitzereien und übersteigenden Proportionen. Dieser Rückgriff auf die Vergangenheit verhinderte keineswegs das moderne Erscheinungsbild, welches sowohl von Expressionisten als auch von den Arbeiten von Frank Lloyd Wright (die Niederländer waren die ersten, die seine Arbeiten verbreiteten) beeinflusst war. Interessanterweise schlossen die niederländischen Behörden gleichzeitig die avantgardistische De Stijl Gruppe von der offiziellen Präsentation aus.

Stattdessen war es der österreichische Frederick Kiesler, der De Stijl vor Ort vertrat. Für die Raumstadt Ausstellung im Inneren des österreichischen Pavillons kreierte er seine berühmte lange Konstruktion aus weißen Planken und Paneelen in einer ansonsten dunklen Umgebung. Eng mit dem niederländischen Designer Gerrit Rietveld befreundet, aber der kontrahierenden Gruppe De Stijl zugehörig, schaffte er es auch, für den ausländischen Teil im Grand Palais ausgesucht zu werden und präsentierte dort einen radikalen Raum in Schwarzweiß.

Trotz der allgemeinen Angst vor der Ultramoderne, setzte sich der französische Architekt Robert Mallet-Stevens durch und schuf seinen radikalen Tourismus Pavillon am Fuße des Grand Palais. Mit einem massiven geradlinigen Glockenturm aus zwei Betonblättern, die sich rechtwinklig durchschnitten, galt dieser Pavillon als Schlachtrufsymbol für die Modernisten: diejenigen, die Form und Material auf originelle Weise vereinen wollte und jene, die nach dem ausdrucksstarken Potenzial klarer Strukturen suchten. Dennoch wurde der Architekt vom Expo-Komitee gebeten, die abstrakte Komposition von Fernard Léger zu entfernen, welche die Eingangslobby verzierte. Mallet-Stevens widersetzte sich der Bitte und Légers Werk konnte an Ort und Stelle bleiben, doch verdeutlichte dieser Vorfall, die konservativen Ausrichtungen der französischen Organisatoren der Expo.

Le Corbusier und Pierre Jeanneret erfuhren eine ähnliche Art der Zensur. Die Architekten wurden aufgesucht, um das Motto „Zuhause der Zukunft“ im ihnen zugeteilten Pavillon de l'Esprit Nouveau umzusetzen. Nachdem der Pavillon über mehrere Tage hinter einem Zaun zurückgehalten wurde, eröffnete man ihn für das Publikum nur nach anstrengenden Verhandlungen. Nach Befürchtungen des Ausstellungskomitees, könnte die Radikalität der Architektur - vom „nicht existenten“ Dekor im Inneren gar nicht zu sprechen – vom Publikum als Provokation verstanden werden.

Paradoxerweise erhielt ausgerechnet der russische Architekt Konstantin Melnikov wohlwollende Kritiken für seinen UdSSR Pavillon, der den Bruch mit der Vergangenheit und die Geburt eines neuen Staates symbolisierte. Die gewaltige Holz- und Glaskonstruktion, welche diagonale Linien mit einem farbenfrohen Rhythmus verband, ganz ähnlich einem dreidimensionalen konstruktivistischen Gemälde, konnte ohne weiteres als das umstürzlerischste Objekt der gesamten Expo angesehen werden. Im Inneren wurden Sergei Eisensteins Filme sowie Installationen und Plakate von Alexander Rodchenko ausgestellt, die ebenfalls unter Kritikern und Öffentlichkeit positive Anerkennung erfuhren. Sollte die französische Genehmigung die Sowjets womöglich dazu animieren, einen Weg einzuschlagen, welcher die eigene, französische savoir faire nicht in den Schatten stellt, oder wollte man einfach ein Land bewerben, mit welchem man gerade erst diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte? Tatsächlich hatte die französische Republik die Sowjetunion gerade erst im Vorjahr zur Enttäuschung vieler russischer Immigranten, die auf französischem Boden lebten, anerkannt.

Ein weiterer Erfolg der Modernisten war der Jardin d'Eau et de Lumière des in der Türkei geborenen, jedoch in Frankreich lebenden Gabriel Guévrékian. Dieser junge Architekt erschuf seinen Garten als eine Interpretation der farbenfrohen Muster der Simultanéisme Bewegung, die mit seinen Freunden Sonia und Robert Delaunay verbunden war. Der Garten war durch einen getäfelten Glaszaun und geometrische Grenzen unterteilt. Etwas unansehnlicher, aber gleichermaßen radikal waren die Betonbäume der Martel Brüder (entworfen mit der Hilfe von Mallet-Stevens). Waren sie auch die Lachnummer der Expo, so galten die beiden Gärten als wichtige Repräsentanz der Charakteristiken der Avantgarde im Jahr 1925 und damit der neuen theoretischen Rolle, die den Künstler zugedacht wurde. Künstler kreierten nicht mehr nur lediglich Inhalte für Dekorationen auf Möbelstücken oder vorgefertigte Konstruktionen, viel mehr stellten Künstler nun plastische Ideen zur Verfügung, die von Architekten, Urbanisten und Designer ungesetzt wurden. Diese Idee war ebenso zentral für die Bauhaus-Befürworter in Deutschlad, daher ist es bedaulerlich, dass jene nicht auf der Expo vertreten waren. 

Das Erbe der Art Déco

1925 befand sich die fortschrittliche Welt inmitten eines wichtigen Wandelns hin zur Moderne, welcher die Verdrängung der dekorativen Künste durch Design und die Verdrängung von Handwerk durch Industrie umfasste. Die Geschichte der schöpferischen Kreativität des 20. Jahrhundert wurde zugunsten der intellektuellen und sozialausgerichteten Avantgarde geschrieben, während den großartigen, aber philosophisch flacheren Werken der Art Deco Bewegung bis vor kurzem keine angemessene Aufmerksamkeit zuteil wurde.

Jardin d'Eau et de Lumière in Jardins, Paris 1925 Courtesy of Stéphane Boudin-Lestienne
Es ist bedauerlich, dass die Organisatoren der Expo die Teilnahme der Vorreiter aus Architektur, Design und Kunst begrenzten, denn dadurch spalteten sie unbewusst den neuen Stil, den sie ursprünglich bewerben wollten – z.B. Art Deco – und die Bewegung der Moderne, die in anderen Ländern Europas einen Aufschwung erfuhr. Als Ergebnis verband man französische Möbel über lange Strecken des 20. Jahrhunderts mit mit konservativen Lebensentwürfen. Dennoch gehört Art Deco heutzutage, beinahe 100 Jahre später, zu den wertvollsten Designstilen auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Seit der Einfluss der Moderne zurückgegangen ist und Möbel aus Massenproduktionen allgegenwärtig sind, lässt eine neu aufkommende Wertschätzung qualifizierter Handwerkskunst, hochwertiger Materialien und bis zur Spitze getriebener Veredelung die alten traditionellen Entwürfe neuartig und innovativ erscheinen.

  • Text von

    • Stéphane Boudin-Lestienne

      Stéphane Boudin-Lestienne

      With a PhD in Art & Architecture History, Stéphane oversees special projects and co-curates exhibitions at Villa Noailles—the historic architectural site and art space in Hyères, France.

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