Ein bunter Besuch bei einer Designikone aus Mailand


Die vielen Gesichter der Anna Gili

Von Wava Carpenter

Anne Gili ist seit über dreißig Jahren im Kunstgeschehen und in der Designszene Mailands tätig und nimmt keinen Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, diese zu beschreiben: „Die Arbeitswelt ist ein Schlachtfeld auf dem jeden Tag gekämpft wird. Nichts ist beständig.  Alles Erkämpfte muss gesichert werden.” Und im nächsten Augenblick: „Man muss geduldig sein. Freude und Begeisterung muss die Arbeit bestimmen. Wie auch das Leben ist die Arbeit ein langer Weg, der selbst gewählt werden sollte.“

Verwicklungen, gar Widersprüche, ziehen sich ungezügelt durch ihr Werk, das Möbeldesign ebenso wie Grafiken, Performancekunst und akademisches Lehren umfasst. Der Großteil ihrer Stühle, Tische und Objekte ist mit Pflanzen-, Mensch—oder Tierformen durchdrungen. Man könnte meinen, dass diese jeden Augenblick zum Leben erwachen würden. Dennoch scheinen diese Entwürfe nicht unmittelbar der Natur entnommen zu sein. In lebhaften Farben bemalt, sind sie in ihrem Stil übertrieben und erinnern an die Fantasiewelt aus Kinderbüchern und Zeichentrickfilmen. Sie sind gleichzeitig vertraut und fremd, biomorph und künstlich.

„Erfahrung bestimmt meine Arbeit”, erklärt uns Gili. Ihre persönliche Herangehensweise wurde stark von „vielen Treffen mit den großen Designern beeinflusst, mit denen ich das Glück hatte, zusammen zu arbeiten. Ebenso durch führende italienische und ausländische Unternehmen, internationale Künstler, meine Tierfreunde als auch die humanistische Kultur Zentralitaliens.“

Wenn Gili von Designikonen spricht, übertreibt sie nicht. Sie machte am Istituto Superiore per le Industrie Artistiche (I.S.I.A.) 1984 in Florenz ihren Abschluss, als die Begeisterung für Memphis und Studio Alchimia am größten war. Ihre performative Projektarbeit Sonorous Garment zog sofort die Aufmerksamkeit der zeitgemäßen radikalen, postmodernen Design-Größen auf sich. 1985 wurde sie eingeladen, ihre Werke in der Elective Affinities Ausstellung im Triennale di Milano neben Designern wie Mario Botta, Michael Graves, Alessandro Mendini, Tobia Scarpa, Ettore Sottsass, und Robert Venturi. Im selben Jahr stellte sie ihre erste Kollektion, in Form von üppigen skulpturalen Cro Vasen, für Alessi, her. Im darauffolgenden Jahr wirkte sie an Studio Alchimias ikonoklastischer Produktion mit. Mendini wurde zu einem Langzeitfreund und Kooperationspartner und benannte sogar einen Entwurf nach ihr, der Anna G Korkenzieher für Alessi (1993). 

Der Geist von Protest, Verspieltheit und Idealismus, der die frühen Erfahrungen von Gili in den 1980ern definierten, sind immer noch präsent. „Als ich meine akademisch-künstlerisch-professionelle Karriere startete“, so Gili, „hatte italienisches Design viel Kraft und eine Vorbildfunktion für die Welt. Ich freue mich über die Avantgarde Bewegung, weil sie einen Weg bereitete und eine neue Grenze für Design öffnete. Sie ermöglichte mir die Freiheit Design um 360° zu erforschen und diese Forschungsarbeit in meine Kunst einzubringen.“   

Much of Gili’s work incorporates forms drawn from nature, especially animals, often rendered in a feminized aesthetic. Shown here is A Viso Aperto, a cabinet imbued with a critical face of the Italian nation. It was created for Zero Disegno’s project L’Italia Ricomincia da Zero (Italy Starts from Scratch) in 2011. Courtesy of Anna Gili
Wie viele von Gilis “Anti-Design” Zeitgenossen, gab sie sich nicht einfach damit zufrieden, mehr Produkte für den Massenmarkt zu entwerfen. Ihre spezifische Art, das Gewöhnliche zu unterbrechen, ging über eine Antipathie für die Konsumkultur hinaus, wie sie ihre Freunde, wie Mendini, predigten. Gili merkte, dass die Tatsache, dass sie eine Frau war, breits ausreichte, um sie in der Männer überwiegenden Designwelt zum Außenseiter zu machen. Sie ließ sich von feministischen Künstlerinnen wie Rebecca Horn und Anhängern der Body Art Bewegung inspirieren. Sie verlangten, dass Erfahrung durch Frauen anerkannt werde. Gili war zudem auch sehr von der Kraft der Intuition angetan und beschäftigte sich mit Zoosemiotik—nonverbale Kommunikation unter Tieren—und Proxemik—die gewünschte Distanz zwischen Personen, damit diese sich wohl fühlen. Ihre eigene Neugier trieb sie dazu Themen innerhalb der Designwelt zu diskutieren, die traditionell der Frau verwehrt waren.

Gili sieht die Welt als Dualität, wie im Yin-Yang. „Der weibliche Kosmos versucht das Unsichtbare, das Chaos, darzustellen. Das Weibliche geht mehr mit dem Lebendigen einher, weshalb viele Frauen emotionale und spirituelle Aspekte gegenüber technischen und funktionalen bevorzugen. Frauen tendieren dazu, Projekte systematischer zu betrachten als Männer mit ihrer linearen Denkweise. Chaos ist die Basis für Kreativität. Die männliche Natur, versucht sie zu erobern und zu dominieren, die weibliche hingegen bleibt offen zu fühlen, zu verstehen, zu denken und zu beobachten. Das Weibliche fühlt keine Furcht. Innerhalb eines Systems sind Frauen von Natur aus nicht zufrieden.“

Als Gili ihre Design- Karriere startete, rebellierten Designer gegen ein „bulimisches Design- System“ wie sie es nennt, in dem der Erfolg von großen Unternehmen davon abhängt, immer mehr Ware auf immer effizienteren Wegen zu produzieren, um den Wünsche der Kunden nach Neuheiten und Statussymbolen nachzukommen. Von Anfang an passte die Ideologie dieser Bewegung ideal mit ihrem eigenen bedachten, symbolbehafteten Ansatz zusammen. Gili versichert, dass sich ihre Mission über die Jahre nicht verändert habe, weil sich auch das System nicht verändert hat.

„Das Design -System Italiens ist eines der komplexesten weltweit—gut strukturiert und weltweit angesehen. Gleichzeitig besitzt es zu viele alte Gewohnheiten und Gewissheiten und hat dadurch Ansätze unterdrückt, die seine Macht beeinträchtigen“ so Gili. „Diese Aspekte erlauben kaum Erneuerung. Uns fehlt eine umfangreiche Strategie, die italienisches Design durch ein tiefes Bewusstsein über den historischen Erfahrungen hinaus führen kann. Das italienische Design- System hat zu lange von seiner Rente gelebt, ohne Experimente auf qualifizierter Art und Weise zu kultivieren.“

Das italienische Design- System hat zu lange von seiner Rente gelebt, ohne Experimente auf qualifizierter Art und Weise zu kultivieren. Vorwärts schreiten heißt für Gili, weit zurück in die Vergangenheit zu blicken und die natürliche Welt zu beobachten. Diese romantische von Emotionen geleitete Einstellung führt sie auf ihre Erziehung in Orvieto zurück. Die Landschaft dieser Stadt gekoppelt mit dem Vermächtnis religiöser und kultureller Produkte Umbriens aus der Zeitspanne zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert begeisterten sie als Kind. Die Benediktinerregel Ora et Labora, ein Aufruf des Zusammenspiels von Beten und Arbeiten, Nachsinnen und Handeln, legt den Grundstein für ihre Praxis. Ihre Bildsprache bezieht sich indes auf ihre lebenslange Auseinandersetzung mit der Ikonographie des Mittelalters, der Malerei der Renaissance und einer humanistischen Gesinnung. Ihre eindeutige Faszination mit der Tierwelt wurde „während meinen Sommerferien geformt, als ich versuchte ein Mittagsschläfchen zu den Geräuschen der Singzikade zu machen und abends den Glühwürmchen hinterher rannte. Ich beschwöre diese Verbundenheit mit der Natur herauf wo auch immer ich mich befinde, selbst im Mailänder Studio.”

Die Resonanz zu Gilis Ansatz, der gleichzeitig studiert und persönlich, nachdenklich und intuitiv ist, erlaubt ihr, sich innerhalb des Systems, das sie kritisiert, frei zu bewegen. Immer wieder wird sie durch große Unternehmen—Bisazza, Cappellini, Cassina, und Salviati, um nur einige zu nennen—beauftragt Objekte zu entwerfen und ihr Werk in fernen Institutionen und Kunsträumen auszustellen, darunter das Indianapolis Museum of Art 

das Kunstmuseum Düsseldorf, das Centre Pompidou in Paris und das Seoul Arts Center Museum in Südkorea. Für jemanden, der Design nicht im traditionellen Sinn entwirft, legt Gili eine sehr erfolgreiche Design-Karriere hin. „Ich mag es, für die ganze Menschheit zu entwerfen, nicht nur für die Welt des Designs“, meint Gili. „Mein Ansatz ist für gewöhnlich frisch und verspielt, weil er nicht mechanisch oder kommerziell ist. Ich bevorzuge die Dinge unschuldiger, vielleicht sogar ein wenig naiv.“ Diese einzelnen Ausdrücke—verbal und materiell—kamen ihr sehr zugute.

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    • Wava Carpenter

      Wava Carpenter

      Seit ihrem Studium in Designgeschichte an der Parsons School of Design hatte Wava schon in vielen Bereichen der Designkultur den Hut auf: sie lehrte Designwissenschaft, kuratierte Ausstellungen, überwachte Auftragsarbeiten, organisierte Vorträge, schrieb Artikel und erledigte alle möglichen Aufgaben bei Design Miami. Wava lässt den Hut aber im Büro – auf der Straße bevorzugt sie ihre Sonnenbrille.
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      Giada Paoloni

      Die gebürtige Italienerin Giada ist Fotografin und Stylistin mit einer großen Leidenschaft für Reisen, Speisen und Kunst.
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      Rachel Miller

      Rachel kommt aus Kalifornien, USA. Derzeit lebt sie in Berlin und macht in Literaturwissenschaften ihren Master. Wenn sie nicht gerade liest oder schreibt, ist sie auf der Suche nach Berlins bestem Craft Bier. Ihre Reiselust inspiriert sie zu großen Abenteuern an verschiedensten Orten auf der Welt sowie zuhause in ihrer Küche.

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