Arne Jacobsens Royal Hotel in Kopenhagen und das Jet-Zeitalter


Hoch in der Luft

Von Anna Carnick

Im sogenannten Jet-Zeitalter – als man Zeuge von Ereignissen wie dem Raumflug der Sputnik, der Geburt der NASA und der Einführung des Farbfernsehens wurde (von Elvis’ kreisenden Hüften bei der The Ed Sullivan Show wollen wir gar nicht erst anfangen) – begrüßten die 1950er Jahre eine neue, immer größer werdende Gruppe an Weltenbummlern und Touristen, die es so noch nie gegeben hatte. Dank des rasanten Wachstums der kommerziellen Luftfahrtindustrie in der Nachkriegszeit und durch aeronautische Innovationen wie dem Turbinentriebwerk, konnten sich mehr und mehr Menschen auf Reisen über die Ozeane begeben. Um diese gut betuchten Reisenden unterzubringen und bei Laune zu halten, entstand schnell ein Markt mit speziell angepassten Dienstleistungen und Räumlichkeiten. Eines dieser Projekte stach besonders hervor: das Kopenhagener SAS Royal Hotel. Dieses Hotel symbolisierte eine neue Ära noch nie dagewesener Mobilität und wurde gleichzeitig zu einer Ikone des internationalen Designs.

1955 beauftragte das Scandinavian Airlines System (ein Verbund aus den nationalen norwegischen, dänischen und schwedischen Fluggesellschaften) den berühmten dänischen Architekten und Designer Arne Jacobsen mit der Gestaltung dessen, was später als das erste Design-Hotel der Welt bekannt werden würde. Jacobsen befand sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere und wurde bereits weitläufig für seine Beiträge zum modernen dänischen Design gefeiert. Und das Projekt—obgleich zunächst äußerst kontrovers diskutiert—sollte zu einem seiner Meisterwerke werden.

Das SAS Royal Hotel Copenhagen entstand zwischen 1956 und 1960 als erstes Hotel der Fluggesellschaft. Das 22-stöckige Gebäude im Herzen der Stadt, direkt neben dem Tivoli Vergnügungspark, war das größte Hotel der Stadt und zugleich Kopenhagens erster Wolkenkratzer – eine Tatsache, die in der Öffentlichkeit zunächst für große Diskussionen sorgte. Allein der Gedanke an einen Wolkenkratzer schien für manche schon fast zu viel. Am 4. Februar 1959 war in der überregionale Zeitung Politiken zu lesen: „In Vesterbrogade bleiben täglich tausende Menschen stehen, schauen nach oben und denken: ‘Ich hoffe, er fällt nicht bei einem Sturm um.’”

SAS Royal Hotel Bild mit freundlicher Genehmigung des Radisson Blu Scandinavia Hotels
 In Wirklichkeit hob sich das SAS Hotel stolz von der Skyline der Stadt ab. Makellos verkörperte es Jacobsens charakteristische Kombination aus traditionellem dänischen Handwerk und modernem Funktionalismus. Als es am 1. Juli 1960 seine Türen öffnete, wurde endgültig klar, dass es anders als die anderen Hotels dieser Zeit war. Jacobsen sah sein Hotel als ganzheitliches Kunstwerk und entwarf nicht nur das Gebäude selbst, sondern zudem die gesamte Einrichtung. Alles vom Boden bis zur Decke – jeder Stuhl, jeder Türgriff, jedes Stück Besteck – stammt allein von Jacobsen.

Von außen erinnern die klaren, geraden Linien des SAS Royal Hotels an andere legendäre moderne Gebäude der Epoche, wie zum Beispiel das Seagram Building (Mies van der Rohe, 1958) und das Lever House (Skidmore, Owings and Merrill, 1952) in New York City. Das SAS Gebäude besteht im Grunde nur aus zwei großen Rechtecken: während das eine parallel zum Boden verläuft, erstreckt sich das andere hoch in den Himmel. Der untere Teil wurde als Parkhaus und erster Flughafenterminal von SAS (selbstverständlich inklusive einer Cocktailbar) konzipiert. Vom Terminal aus konnten die gut gelaunten Jetsetter per Shuttle-Service den nahegelegenen Flughafen erreichen. Im vertikalen Teil des Gebäudes befinden sich die 275 Zimmer und Suiten des Hotels. Da Jacobsen sich der dominanten Position des Hotels in Kopenhagens relativ niedriger Skyline bewusst war, verkleidete er die Fassade mit hellgrauem und grünem Aluminium und Glas, um so den Himmel und die Wolken zu spiegeln. Die Kombination aus geschickt gewählten Materialien und sensiblem ästhetischen Gespür beruht womöglich auf einem Ereignis in Jacobsens jungen Jahren: ursprünglich wollte er Maler werden und die Legende besagt, dass er als Kind die bunte Tapete in seinem Zimmer weiß übermalte und sich so gegen den Geschmack seiner Eltern wehrte.

Während das Äußere des Gebäudes von härteren, hypermodernen Linien geprägt war, wählte Jacobsen innen weiche und organische Formen. Die Spannung dieser Gegensätze hob letztendlich beide Extreme hervor. Mit Eintritt in das Hotel befanden sich die Gäste in einem luftigen Foyer, das im starken Kontrast zum härteren Äußeren stand. Der Empfangsbereich wurde vor allem von der Wendeltreppe bestimmt, die sich auf der Grenze des technisch Möglichen bewegte. Überall im Hotel fand Jacobsen innovative Möglichkeiten, harte, geometrische Kanten abzurunden und von der Natur inspirierte, biomorphe Formen zu integrieren. So gelang es ihm, für das gesamte Hotel eine harmonische, einladende und humanistisch geprägte Atmosphäre zu schaffen.

Zwar war Jacobsen mit seinem ganzheitlichem Konzept nicht allein – die meisten modernen Designs des 20. Jahrhunderts stammen von Architekten-Designern – aber das SAS zeichnet sich vor allem durch die zahlreichen, speziell entwickelten Designobjekte aus, die heute weltbekannt sind. Drei Designs, die dabei besonders hervorstechen und die man auch heute noch in designbewussten Räumlichkeiten auf der ganzen Welt finden kann, sind die Stühle Egg, Swan und Drop (alle von 1958). Dieses Trio war überall in den öffentlichen Räumen und Gästezimmern des Hotels zu sehen. Die faszinierenden, sanften Kurven der Möbelstücke läuteten zudem leise die Ästhetik des Space Ages ein, die sich in den 60er Jahren in Werken von Designern wie beispielsweise Joe ColomboVerner Pantonund Olivier Mourgue großer Beliebtheit erfreute.

Wer sich in den eleganten, übertriebenen Egg Chair setzt, wird von ihm fast wie in einem Kokon umhüllt. Die wohlgeformten Armlehnen des Swans erinnern an die filigranen Flügel des namensgebenden Vogels. Der vom Wasser inspirierte Drop Chair hingegen bezaubert durch seine schlichte Silhouette, die gleichzeitig stützt und Bewegungsfreiheit bietet. Sowohl in ihrer Gesamtheit als auch für sich allein betrachtet unterstreichen diese Designs den Geist und Glanz ihrer Entstehungszeit.

Seit den 1960ern haben sich sowohl Name als auch Einrichtung des historischen Designhotels erheblich verändert. 1994 wurde es erst zu Radisson SAS Royal Hotel und 2009 schließlich zu Radisson Blu Royal Hotel umbenannt. Im Laufe der Jahre und unter neuer Leitung wurde ein Großteil der Einrichtung ausgetauscht. Ein Zimmer ist dabei glücklicherweise erhalten geblieben und so kann man in der Nummer 606 noch immer Jacobsens Originale bewundern. Für 5.500 Dänische Kronen (ungefähr 740 Euro) pro Nacht kann man das Zimmer buchen und auf Zeitreise gehen. Wenn es gerade mal nicht vermietet ist, lässt das Hotel neugierige Designliebhaber gern einen Blick in den 6. Stock werfen. In diesem unvergesslichen Raum scheint die Zeit stehen geblieben als eine Hommage an eine Ära, einen Mann und eine wegweisende Designepoche.



Besonderer Dank gilt dem Radisson Blu Royal Hotel für die zur Verfügung gestellten Bilder und Informationen.

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    • Anna Carnick

      Anna Carnick

      Als ehemalige Redakteurin bei Assouline, der Aperture Foundation, Graphis und Clear feiert Anna die großen Künstler. Ihre Artikel erschienen in mehreren angesehenen Kunst- und Kulturpublikationen und sie hat mehr als 20 Bücher herausgegeben. Sie ist die Autorin von Design Voices und Nendo: 10/10 und hat eine Leidenschaft für ein gutes Picknick.

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