Zu Besuch bei der Schmuckdesignerin Mayelín Guevara


Szenen aus Havanna: Teil 2

Von Anna Carnick

Mayelín Guevara läuft in ihrer Wohnung, die aus mehreren Durchgangszimmern besteht, hin und her. Ich sitze in ihrem Wohnzimmer und blicke auf ihre kleine Werkstatt. Sie hält kurz an und gibt mir ein buntes Schmuckstück, bevor sie wieder verschwindet, um noch mehr aus anderen Zimmern, die im hinteren Teil ihrer Wohnung versteckt sind, zu holen. Ihre Ruhelosigkeit ist sehr charmant—sie spricht schnell, lacht viel und laut und schafft es, dass sich alle um sie herum wohl fühlen.

Die zierliche, burschikose Designerin lebt und arbeitet im Bezirk Playa in Havanna. Durch das große Fenster in ihrem Studio blickt man auf einen riesigen, dicht belaubten Baum und ihr Arbeitsplatz ist voller für sie unglaublich wertvoller Materialien, die sie über die Jahre auftreiben konnte: buntes Acryl, Metallreste, bemaltes Porzellan, Knöpfe. „Es kann schwer sein, in Kuba überhaupt was zu finden,“ erklärt sie, „weswegen ich häufig meine Materialien wechsle.“ Ihre Designs umfassen alles von üppig bis elegant und bestehen aus Alltagsgegenständen, wovon einer überraschender ist als der nächste: Luftballons, kaputte Schallplatten, Bürobedarf, Kinderspielzeuge, Teile russischer Mäntel. Manchmal, wie sie mir erzählt, hat sie eine Idee für ein Design, findet das Material, das sie verwenden möchte, und stellt das Stück her. Häufiger aber sind die Materialien knapp und sie muss improvisieren und mit dem arbeiten, was erhältlich ist. Oder sie kehrt den Prozess um und lässt sich von einem Material, das sie hat, inspirieren. Ihre Auswahl ist clever und überraschend, aber auch aus der Not entsprungen.

Für ein besonders beeindruckendes (und kreatives) Set, Colección Habana Noir, besuchte Mayelín die prestigeträchtige Fifth Avenue der Stadt, direkt nachdem diese asphaltiert worden war und schnappte sich eine Handvoll Asphaltreste. Diese nahm sie mit nach Hause und formte sie zu winzigen Kugeln. Anschließend arbeitete sie gemeinsam mit einem regionalen Chemiker daran, Chemikalien zu finden, mit denen die Kugeln behandelt werden konnten, um nicht auf Kleidung abzufärben. Den behandelten Asphalt kombinierte sie mit Silber und kreierte so minimalistische, moderne Ringe und eine Halskette, die allesamt von der Gegensätzlichkeit der prachtvollen Architektur Havannas und dem häufig maroden Zustand der Straßen inspiriert waren.

Man muss das was anfällt, mit den Werkzeugen, die man hat, lösen und den Rest erfinden. Guevara sagt: „Mich inspiriert alles: Architektur, Natur, Wissenschaft, Mode, Kunst, Antiquitäten, Musik, Redewendungen, der Alltag im Allgemeinen, sowohl schwierige als auch schöne Situationen. Die Erschwernisse auf der Insel inspirieren allerdings jeden! Man muss das was anfällt, mit den Werkzeugen, die man hat, lösen und den Rest erfinden. Und natürlich neige ich wie alle Kubaner dazu, über Probleme zu lachen.“

Mayelín Guevara präsentiert eines ihrer Ringkreationen Foto © Anna Carnick
Guevara arbeitet seit den frühen 1990ern mit Schmuck, seit dem Beginn der „Sonderperiode in Friedenszeiten“- ein euphemistischer Ausdruck für die Zeit großen Mangels und wirtschaftlicher Depression, die auf den Zerfall der Sowjetunion, dem damals größten Unterstützer Kubas, folgte. Während dieser Zeit verloren die meisten Kubaner alles. Guevara hatte angefangen an der Universität Geschichte zu studieren, aber „ich konnte meine Kurse wegen der wirtschaftlichen Probleme nicht beenden. Dann stellte mich ein Mann aus der Nachbarschaft an, um beim Löten zu helfen; er gab mir einen kubanischen Peso per Auftrag. Damit fing es an, dass ich mich für den Beruf interessierte. Und zufällig erlaubte der Staat zur gleichen Zeit einigen Leuten, kleine unabhängige Unternehmen zu betreiben. Also gründete ich mein eigenes Unternehmen für Schmuckreparaturen.“ Anfangs reparierte sie den Schmuck ihrer Nachbarn. Da die Leute natürlich nur wenige Besitztümer hatten, fühlte Guevara sich sehr verantwortlich von Anfang an sehr genau zu arbeiten. „Es gibt so viele Leute, denen ich dankbar bin“, sagt sie. Kurz darauf begann sie, ihre eigenen Stücke zu kreieren.

Heute werden Guevaras arbeiten überall auf Kuba in Ausstellungen gezeigt. Während sie in ihrem Studio in Taschen wühlt, bewundere ich ihre beträchtliche Produktion. „Ich bin sehr ruhelos,“ gibt sie zu, „weswegen ich ständig neue Dinge ausprobiere.“ Ich frage sie, ob sie bezüglich der Zukunft von Design in Kuba optimistisch ist. Guevara antwortet: „Ich glaube, Design hat jetzt einen Platz [in unserer Kultur]. Es ist immer wichtiger geworden.“ Ich stelle ihr eine weitere Frage, aber irgendwas geht in der Übersetzung verloren. Sie lacht laut auf und sagt: „Están en Cuba; fordere nicht zu viel.”

 


Speiseöl Fabrik in Havana Foto mit freundlicher Genehmigung von FAC

Erfahren Sie mehr über unseren Besuch und die Kreativen, die Kubas kreative Landschaft formen in Teil 1 und Teil 3.

 

  • Text von

    • Anna Carnick

      Anna Carnick

      Als ehemalige Redakteurin bei Assouline, der Aperture Foundation, Graphis und Clear feiert Anna die großen Künstler. Ihre Artikel erschienen in mehreren angesehenen Kunst- und Kulturpublikationen und sie hat mehr als 20 Bücher herausgegeben. Sie ist die Autorin von Design Voices und Nendo: 10/10 und hat eine Leidenschaft für ein gutes Picknick.
  • Übersetzung von

    • Annika Hüttmann

      Annika Hüttmann

      Annika ist umgeben von skandinavischem Design zwischen Norddeutschland und Südschweden aufgewachsen. Für ihr Literaturstudium zog sie nach Berlin und entdeckte dort ihre Leidenschaft für deutsche Vasen aus den 1950ern-70ern, von denen sie inzwischen mehr als 70 Stück besitzt.

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