Etablierte Museen entdecken die Gegenkulturen der 70er und 80er für sich


Wenn Outsider zu Insidern werden

Von Rachel Felder

Momentan zeichnet sich bei Museumsausstellungen ein Trend ab, der nichts mit Malerei, Bildhauerei, Zeichnungen oder Lithographien zu tun hat. Stattdessen kann man von Institutionen zusammengestellte Auswahlen an schmutzigen Toiletten (inklusive Graffiti und Zigarettenstummel), alten Aufnahmegeräten, zerrissenen T-Shirts und Gold-Lamé betrachten.

Mehrere Ausstellungen haben in letzter Zeit einen Schwerpunkt auf Bewegungen der Gegenkultur gelegt, die vor nicht allzu langer Zeit definitiv nicht als museumswürdig gegolten hätten. Im Metropolitan Museum of Art in New York wird Punk: Chaos to Couture gezeigt, eine Ausstellung, die vor allem negative Rezensionen bekam. In London im Victoria & Albert Museum kann man David Bowie is besuchen—mehr ein multimediales Event als eine traditionelle Ausstellung. In den gleichen Räumlichkeiten wird im Juli Club to Catwalk: London Fashion in the 1980s eröffnen und die häufig ausgefallenen subkulturellen Modetrends, die man in Clubs wie The Blitz beobachten konnte, untersuchen—man denke an Männer, die Make-Up tragen, sehr viel Make-Up—und ihre Verbindungen zu und Einflüsse auf Designer wie John Galliano näher betrachten. Und in Frankfurt eröffnete in der Schirn Kunsthalle vor kurzem Glam! The Performance of Style, nachdem diese Ausstellung zuerst im Tate in Liverpool gezeigt worden war.

All dies wirft die Frage auf: Warum interessieren sich Museen für diese Bewegungen und warum gerade jetzt? „Das hat demographische Gründe“, erklärt Dick Hedbige, Autor des einflussreichen Textes Subcultures: The Meaning of Style und Professor für Interdisziplinäre/Experimentelle Wissenschaften an der University of California Santa Barbara. „Es gibt eine Zielgruppe, die mit all diesen Dingen aufgewachsen ist und sie entweder beobachtet oder selber erlebt hat. Personen, die von diesen Trends auf unterschiedliche Arten geformt oder beeinflusst worden sind, möchten sie zu einem gewissen Grad wiedererleben. Ich denke, das hat auch etwas mit dem Älterwerden zu tun... und damit, was erst deutlich wird, wenn man zurückblickt.”

Die persönliche Verbindung zu den Gegenständen in diesen Ausstellungen—das Ziggy Stardust Album, das man als Teenager so sehr geliebt hat, oder das Badezimmer im CBGB’s, wo viele Punk-Fans entweder ihre Abende verbrachten oder zumindest davon träumten—kann erklären, warum manche dieser Ausstellungen besonders gut ankamen. „In gewisser Weise ist die Ausstellung ein Spiegel,“ sagt Geoffrey Marsh vom V&A über die David Bowie Ausstellung, die er mitkuratierte. „Viele Leute sehen nicht David Bowie, sondern sich selber und was [zu einer bestimmten Zeit] in ihrem Leben passierte.“ Mit anderen Worten existiert hinter den kuratierten Objekten für die meisten Menschen also eine andere, private Geschichte.

Vielleicht war genau das das Kernproblem der Punk Ausstellung des Metropolitan Museum: Ab und zu ein wenig Musik von X-Ray Spex und ein paar Filme im Hintergrund banalisieren für die Zuschauer eventuell eine Bewegung, die sie zu einer wichtigen Zeit in ihrem Leben—in den unsicheren Jahren als Teenager und mit Anfang 20—tief geprägt hat. Einige Kritiker—darunter auch die Autorin dieses Textes—hätten sich von der Ausstellung Punk mehr Zusammenhänge gewünscht: So wird beispielsweise der Unterschied zwischen New York City und London Punk nicht erklärt und es wird ein willkürlich erscheinendes Nebeneinander von Reproduktionen des Badezimmers von CBGB’s auf der Bowery und Seditionaries, dem Geschäft von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood auf der Kings Road, präsentiert. Die Herausforderung bei dieser Art von Ausstellung ist, dass sie für alle, die sie sehen, Sinn ergeben muss, —„egal ob man jemand ist, der mit Bowie aufgewachsen ist und für den seine Musik der Soundtrack des eigenen Lebens ist, oder ob man ein 18-jähriger Designstudent ist“ wie Marsh es ausdrückt—was definitiv eine schwierige Aufgabe ist.

At the Punk: Chaos to Couture Ausstellung © Giada Paoloni für L'AB/Pamono

Während seit dem Aufkommen dieser Bewegungen genug Zeit vergangen ist, um über sie nachzudenken, gibt es noch einen weiteren Grund, warum diese Ausstellungen zur Zeit relevant erscheinen. „Es gibt eine große Parallele zwischen dem, was in Großbritannien in den 80ern passierte und dem, was momentan geschieht“, so Kate Bethune, die kuratorische Assistentin des V&A, die die kommende Ausstellung Club to Catwalk zusammenstellte. „Es ist eine sehr ähnliche wirtschaftliche und politische Situation. Es scheint momentan ein starkes Interesse an den 80ern zu geben, was sich letztendlich auch in der High Street Mode zeigt.“

Auch Darren Pih, der Kurator von Glam! The Performance of Style, wurde von den Ähnlichkeiten, die er zwischen der Ära des Glam und heute sah, angetrieben. „Es scheint, als würden wir eine Wiederholung der politischen Umbrüche erleben, die sich in den 1970ern ereigneten“, so Pih. „Es erinnert einen an das Ende des Utopismus der 1960er Jahre und den Wechsel zu wirtschaftlicher Sparpolitik—so wurde es zumindest im Vereinten Königreich erlebt. Es war eine Zeit, in der die Gesellschaft auseinanderbrach und es der Wirtschaft sehr schlecht ging.“

Für diejenigen, die bei Glam lediglich an Bryan Ferrys Bühnenoutfits zu seiner Zeit bei Roxy Music denken, dürfte an der Ausstellung interessant sein, dass es dort gelingt, die Bewegung bedeutender erscheinen zu lassen, indem zum Beispiel Kunst von Richard Hamilton und Filme von Andy Warhol gezeigt werden und der Fokus so über Musik und Kleidung hinaus geht. „Wir wollten keine nostalgische Ausstellung präsentieren, weil das keine besonders einfallsreiche Art ist, Museumsausstellungen zu kuratieren. Was wir stattdessen zeigen wollten ist, dass Glam, in seiner besten Form, auf Ideen aus der Kunst beruhte, die auf die Populärkultur abfärbten“, sagt Pih.

Obwohl Glam theatralisch war und manche irritierte, hatte es im Vereinten Königreich einen weitreichenden Einfluss auf den Mainstream, was vor allem der Beliebtheit von Sängern und Bands wie David Bowie, Roxy Music und T. Rex zu verdanken ist. „Die Annahme, dass Punk das einzige bedeutende Ereignis der 70er Jahre war, stimmt so nicht“, sagt Pih. „Das Besondere am Glam ist, dass es eine größere Bedeutung für eine größere Anzahl an Personen hatte als Punk Rock. Es wurde als Intensivierung der gesamten Kultur erlebt. Punk war relativ exklusiv. Um ein Punk zu sein, musstest du dir einen Müllsack anziehen und eine Sicherheitsnadel durch die Nase stecken; es war eine ziemlich extreme Sache. Glam war erreichbarer: Bowie, der mit massenhaft Make-Up bei Top of the Pops auftrat, ließ einen viel eher denken ‚Das könnte ich auch.’“

Für Museen ist der Reiz groß, sich auf bestimmte Epochen der jüngeren Popkultur zu konzentrieren, statt zum Beispiel Renaissance Gemälde zu zeigen, da ersteres meistens ein riesiges Publikum, mediale Aufmerksamkeit und hohe Eintrittspreise mit sich bringt. Die Tickets für die David Bowie Ausstellung waren die sich am schnellsten verkaufenden in der Geschichte des V&A. Man bekommt eindeutig das Gefühl, dass mehrere der unglaublich beliebten Ausstellungen von Kleidung mit ‚Wow-Effekt’—darunter die Ausstellung Alexander McQueen: Savage Beauty im Met 2011 und eine umfassende Retrospektive von Vivienne Westwoods Designs vor einigen Jahren im V&A—den Weg für den momentanen Fokus auf vergleichsweise zeitnahen Bewegungen aus der Gegenkultur geebnet haben.

Im Bezug auf all diese Ausstellungen muss außerdem angemerkt werden, dass es besonders in Bezug auf die idealen Räumlichkeiten große Unterschiede zwischen den Museen gibt. Anders ausgedrückt: Das New Yorker Met mit all seinen griechischen und römischen Antiquitäten und Renaissance-Kunstwerken, ist eventuell schlechter dafür geeignet, von der Straße beeinflusste Moden zu präsentieren als ein Museum für angewandte Künste wie das Londoner V&A. Zugegebenermaßen war die unglaublich populäre Alexander McQueen Ausstellung vor einigen Jahren ein riesiger Erfolg, aber diese hatte auch einen eindeutigen Schwerpunkt auf High Fashion (wenn auch von der besonders ausgefallenen Art) anstatt zu versuchen, die Stimmung einer rebellischen Bewegung einzufangen. Ob es uns (oder den Kuratoren) gefällt oder nicht, beeinflussen die Räumlichkeiten den Effekt einer Ausstellung.

Für die meisten Besucher befinden sich die wirkungsvollste Räumlichkeiten im Hinblick auf diese Ausstellungen jedoch nicht innerhalb der Wände eines Museums: Diese sind im Anschluss das eigene Zuhause—oder vielleicht das Zimmer, in dem sie vor vielen Jahren als Teenager lebten—in dem sie die Musik hören, die sie inspirierte und antrieb. Vielleicht fühlen sie sich dadurch gerührt oder nostalgisch oder auch einfach nur inspiriert, die Welt auf eine etwas andere, und meistens etwas buntere, Art zu betrachten. Und genau darum geht es bei Rebellion doch letztendlich: Um den Kampf zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit.

  • Text von

    • Rachel Felder

      Rachel Felder

      Focusing on fashion, beauty, and trends, Manhattan-based Rachel's writing has appeared in The New York Times, The Financial Times, Travel & Leisure, Town & Country, and Women's Wear Daily, among others.
  • Übersetzung von

    • Annika Hüttmann

      Annika Hüttmann

      Annika ist umgeben von skandinavischem Design zwischen Norddeutschland und Südschweden aufgewachsen. Für ihr Literaturstudium zog sie nach Berlin und entdeckte dort ihre Leidenschaft für deutsche Vasen aus den 1950ern-70ern, von denen sie inzwischen mehr als 70 Stück besitzt.