Auf den Spuren von Finn Juhls Genie in seinem Haus am Stadtrand von Kopenhagen


Das außergewöhnliche Haus

Von Clara Le Fort

Von außen sieht das Haus von Finn Juhl am Stadtrand von Kopenhagen mit seinen zwei klar geschnittenen, boxenartigen Flügeln aus weiß-stuckiertem Backstein und mit niedrigem, sich steil absenkendem Dach aus hellgrauen Schindeln recht einfach aus – gewöhnlich beinahe. Hat man das Haus jedoch erst betreten, steht man inmitten lichtdurchfluteter Räume. Durch zahlreiche Terrassentüren und Fenster dringt das weiche, nordische Licht und wird von cremefarbenen Wänden in Pastelltönen reflektiert, so entsteht eine Atmosphäre, die ideal ist für Gemälde, Skulpturen, Möbel, Keramiken und – natürlich – Menschen. Das Haus ist ein Musterbeispiel für die romantischsten Ideale der angewandten Moderne, in denen sich Architektur, Design und Kunst harmonisch vermischen und so einen komfortablen, funktionalen und individuellen Wohnraum schaffen, der spürbar der Seele gut tut.

Obwohl Juhl, der neben Lichtgestalten wie Arne Jacobsen und Hans Wegner, als einer der einflussreichsten und wichtigsten dänischen Möbeldesigner des 20. Jahrhunderts gilt, zum Architekten ausgebildet wurde, schuf er nur sehr wenige Gebäude. Sein Wohnsitz in Ordrup (seit 1941) ist dabei mehr als außergewöhnlich, und diente Juhl in den mehr als 40 Jahren, die er dort wohnte, als eine Art Experimentierlabor, in welchem er versuchte seine Inneneinrichtungsideen zu perfektionieren, indem er sorgfältig ausgewählte Materialien aus sämtlichen Kunstrichtungen miteinander verband und meist neue Ideen ausprobierte, bevor er sie auf den Markt brachte. Er kultivierte zudem eine Kohärenz bis ins kleinste Detail und designte alles selbst bis hin zu Alltagsgegenständen wie Besteck und Geschirr.

Juhl schrieb einmal, dass ein Architekt nach Einheit streben sollte, nicht aber nach Einförmigkeit. Er zielte damit auf „einen vollständig durchdachten Prozess hinter allem, was man tut.“ Geht man in seinem Haus in Ordrup von Raum zu Raum, findet man Juhls tiefe Auseinandersetzung mit Modern Art in der beruhigenden und gefühlvollen Balance seines Fachgebietes bestätigt. Er war vor allem ein begeisterter Sammler von Objekten des Danish Art, dazu gehörten Gemälde von Asger Gorn und totemartige Skulpturen von Erik Thommensen und Sonja Ferlov Mancoba. Die spontanen, organischen Formen, welche die expressionistische Avantgarde der 1930er, 40er und 50er Jahre dominierten, finden sich in diversen herz-, nieren- und flossenartigen Formen wieder, die sämtliche Möbelkonstruktionen und Elemente wie Rücken- oder Armlehnen durchziehen. Juhl näherte sich seiner Arbeit mit dem Auge eines Skulpteurs. 1952 erklärte er: „Ein Stuhl ist nicht nur ein industrielles Produkt in einem Raum. Er wird selbst zu Form und Raum.“

Nicht selten wurde Juhl eines Elitismus bezichtigt, der im Gegensatz zu den demokratischen Zielen des modernen Designs stand. Er scheute nicht zurück vor der Verwendung von Luxusmaterialien und Handarbeit. Für Juhl hatte das Projekt der Moderne eher mit intellektueller und ästhetischer Sensibilität – rational und umfassend, aber niemals kühl – zu tun, als damit effiziente Lösungen für die Designprobleme der Massenherstellung zu finden. Einige seiner bekanntesten Entwürfe – meist realisiert mit der Hilfe des Meister-Möbelmachers Niels Vodder – finden sich in dem Haus ausgestellt, wo sich ihre ausgefeilten Silhouetten aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten lassen, als wären es funktionale Kunstwerke – dazu gehören der Chieftain Chair, der Pelican Chair, das Model 45, der Egyptian Chair, das Poet Sofa und seine mehrfarbige Chest of Drawers Kommode von 1961.

Während Juhls Haus unbestreitbar als historisches Zeugnis für den Geschmack des dänischen Mid-Century Stils angesehen werden kann, lebt gleichzeitig eine erstaunlich zeitgenössische Sensibilität darin weiter, welche die Ziele widerspiegelt, die wir uns selbst setzen, wenn wir über uns hinauswachsen wollen. Das Haus und seine Umgebung erzählen die Geschichte eines Lebens, das leidenschaftlich der Hochkultur gewidmet war, aber auf simplen Sinnesfreuden basierte; dem Streben des Geistes gleichermaßen verpflichtet wie dem des Herzens. Hier sind wir ganz ungezwungen, denn alles ist an seinem richtigen Platz. In diesem Haus fühlen wir uns eins mit der Welt.

 

  • Text von

    • Clara Le Fort

      Clara Le Fort

      Clara tracks trends and new ventures wherever she goes. A regular contributor to Numéro, Wallpaper, and Departures, and author of a handful of Louis Vuitton City Guides, she’s also a consultant for a variety of Parisian Maisons.

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