Was Ihr über Antonio Aricò wissen müsst


Sinn & Sinnlichkeit

Von Wava Carpenter

Es fällt eine Reihe offensichtlicher, gar sinnvoller Gründe an, die Arbeiten des italienischen Designers Antonio Aricò in Erwägung zu ziehen. Seine Möbelkollektionen—allesamt in den letzten fünf Jahren, seit der Eröffnung seines gleichnamigen Studios entworfen—werden auf dem höchsten Niveau in Italien handgefertigt. Bestehend aus massiver Buche und Wengeholz sind sie auf Langlebigkeit angelegt. Ihr Look ist elegant essentialistisch. Die natürliche Qualität des Holzes wird in großzügig proportionierten Silhouetten sichtbar und verweist auf die Zeitlosigkeit und Besonderheit dieser Stücke. Sie werden über Generationen bestehen. Es besteht kein Zweifel, dass Aricòs Designs zu den schönsten zählen, die es gibt.

Aber noch ein Aspekt setzt die Arbeiten Aricòs von denen anderer Designer ab und macht den Emporkömmling zu einem der begehrtesten jungen Designer von heute. Abgesehen von der reinen, herausragenden Qualität seiner Arbeit, erhielt Aricò Zustimmung von den bedeutendsten Denkern und Trendsettern der Designbranche—darunter Li Edelkoort, Rossana Orlandi, Maria Cristiana Didero, Silvana Annicchiarico und Andrea Branzi. Seine Arbeiten erzählen Geschichten, die auf emotionaler Ebene berühren und gleichzeitig für den Designer einzigartig sind und auf die vielversprechendsten Trends im zeitgenössischen Design verweisen. In einer von Novum und Kurzlebigkeit geprägten Welt baut Aricòs Erfolg auf einem fest verankerten Respekt vor Tradition und  einer unerschütterlichen Hingabe, Design als Medium für Sinnfindung zu nutzen. Heutige Designkenner lieben Aricò, weil er für Originalität, Leidenschaft und Authentizität steht.

Aricò (geb. 1983) wuchs in Reggio auf, einer Stadt in der atemberaubenden Region Kalabrien in Süditalien. In einem Mehrgenerationenhaushalt lebend, stand sich seine Familie sehr nah. Er stammt aus einer Familie von Tischlern, die er als „Sippe kreativer Personen mit echten Werten und einer Begeisterung für das Leben“ beschreibt. Nachdem er sich in der Oberschule auf die Naturwissenschaften konzentrierte, entschied er sich in den Norden zu ziehen, um an der Mailänder Politecnico Industriedesign zu studieren, da dieser Studiengang, so Aricò, „kreative und wissenschaftliche Ansätze der Welt der Dinge und des Konsums beinhaltet—die einen so eigentümlichen und erheblichen Einfluss in der gegenwärtigen Gesellschaft haben.“

Er verließ seine Heimat und den Süden mit großer Hoffnung, die Welt mithilfe des Designs zu einem besseren Ort zu machen. Sobald er jedoch 2008 eine Stelle als Junior Designer in einem großen Studio in Mailand fand, fühlte er sich zunehmend „desillusioniert“, wie er das Gefühl in seinen eigenen Worten beschreibt. Grund dafür war das öde Arrangieren, das seinen Beruf beherrschte. Er meint dazu:  „Viele Leute in der Designbranche erschienen mir mehr als Intellektuelle, die ihr Ego bewarben, als bescheidene Arbeiter, die sich auf die praktischen und ethischen Aspekte dieser Disziplin konzentrieren.“

Als er es nicht mehr ertragen konnte, zog Aricò wieder nach Hause zurück, um bei seiner Familie zu sein, sie um sich zu haben und seine Seele zu nähren. Obwohl er mit Gefühlen des Versagens kämpfte, blieb sein Geist wach. Er fertigte eine Checkliste mit den Dingen an, die er anders machen würde, sollte er von Neuem beginnen.

“Ich fing an zu erkennen, dass die ‘Realität’ viel einfacher war als ich während meiner Studienzeit angenommen hatte. Du musst Deinem Instinkt folgen. Es ist die einzige und effektivste Art, Ideen auszudrücken. Also hörte ich auf, über all die technischen und industriellen Einschränkungen, die die Politecnico mich gelehrt hatte, nachzudenken. Stattdessen fing ich an meine eigene Methode, Ideen zu repräsentieren und zu visualisieren, zu entwickeln.“ Das war nicht alles. „Ich merkte, dass es neben der Tatsache, ein guter Designer zu sein, vor allem wichtig ist, wie man seine Arbeit innerhalb der internationalen kreativen Szene präsentiert—seine Geschichte zu erzählen und sich selbst zu einer Art Subjekt seiner Designs zu machen.“ Aricò verstand immer mehr, dass Persönliches oft universal ist.

Aricòs Familie, insbesondere sein Großvater, der sein Handwerk hervorragend beherrschte, dienten dem Designer von nun an als Inspiration für seine Geschichte. „Mein Nonno repräsentierte für mich etwas, das ich immer vor Augen hatte. Leider wurden solche Vorbilder einem an der Universität nicht vorgeführt. Ich bemerkte in der Tat, dass er war, wie ich immer sein wollte.“ Also fing er an, Seite an Seite mit seinem Großvater zu arbeiten. So entwarf er in der familieneigenen Werkstatt nicht nur eine neue Möbelkollektion, sondern war dabei seine Karriere neu zu erfinden. Mit dem Titel Back Home prämierte die neue Kollektion am Ventura Lambrate während des Salone in 2012 und erhielt beachtliche Auszeichnungen.

“Das Jahr in Mailand war wirklich überraschend”, erinnert sich Aricò. „Jeder sprach von Eigenproduktion und über die Bewegung der ‚Macher‘. Ich war mit meinem Nonno vor Ort und—ohne es zu planen—sprach ich dieselbe Sprache über Wurzeln, Traditionen und Identitäten des italienischen Kunsthandwerks. Das war das erste Kapitel meiner neuen ‚alten‘ Geschichte. Und ich glaube, die Ausstellung mit meinem Nonno war ein Geschenk des Schicksals und meiner Sehnsucht, meine Familiengeschichte mitzuteilen.“

Aricòs Karriere bekam einen ordentlichen Schub. „Viele Galerien und Institutionen meldeten sich bei mir und fragten, ob ich für verschiedene Ausstellungen neue Arbeiten entwerfen könne. Die Presse war von meiner Geschichte sehr angetan“, so Aricò. [Trend-Vorausseher und Kuratoren] Li Edelkoort und Philip Fimmano erzählten auf Trend Tablet von meinem Abenteuer. Aber am meisten freute ich mich darüber, dass ich meinen eigenen Zugang zu dieser Disziplin offenbaren konnte, meine eigene Herangehensweise, die einzigartige Ästhetik meiner Ideen zu präsentieren.“ In den wenigen Jahren, die auf diese vielversprechende Ausstellung folgten, gelang es Aricò, sich laufende Aufträge von bedeutenden italienischen Marken wie Seletti und Alessi zu sichern. Außerdem wurde er eingeladen, sein Werk in Institutionen und Expos auf der ganzen Welt, von Australien bis Israel und Schweden, zu präsentieren und über seine Arbeitsweise zu sprechen.

Die Freude und der Zauber, die Aricò in seinen Geschichten verströmt, gehen auch von seinen Endprodukten aus. Da wären zum Beispiel seine aktuellsten Projekte für Alessi: Viva Napoli und Petite Mariée. Das erstere ist eine Serie von Pizzatellern, die Illustrationen der klassischen „Pulchinella“ Clownfiguren aus der Commedia dell’Arte des 17ten Jahrhunderts zeigen, wie sie vor dem Vesus Pizza backen. Stilistisch sind sie eine Anspielung auf Gio Ponti der 30er Jahre, einer Aricòs Idole, und gleichzeitig führen sie den zugängigen, poppigen Geist der Alessi Brand weiter. Die weiblichen Figuren der Petite Mariée sind das Resultat eines Auftrags von Alessis an Aricò, eine neue Art Hochzeitsgeschenk zu konzipieren. Sie sind ein Verweis auf das beeindruckende Vermächtnis des Murano Glas Künstlers Archimede Seguso des 20sten Jahrhunderts, während sie gleichzeitig italienische Figurinen des 18ten Jahrhunderts und das multikulturelle Konzept des bomboniere neu erfinden. Aricòs besonderes Talent liegt darin, handwerklich Wärme zu erzeugen, indem er Elemente aus vergangener Zeit, der manch einer keinen Platz in der Gegenwart einräumen würde, neu zusammenfügt. Seien Furchtlosigkeit vor Emotionen ist ansteckend.

Aricò aber glaubt, sein sensibler Ansatz mache einfach Sinn. „Als Italiener haben wir die Pflicht das anzustreben, was unsere jüngsten ‚Vorfahren‘ auf dem Gebiet der Mode, des Designs, der Architektur, der Musik und des Kinos usw. vollbracht haben. Eine innige, freudige und kreative Annäherung an alte Methoden und Techniken bringt Qualität und Greifbarkeit in eine Welt, die pseudo-real und oft oberflächlich geworden ist. Ich mag es, meine Augen zu schließen und von den Dingen zu träumen, die ich mir seit meiner Kindheit gewünscht habe. Mit meinen ‚Kindesaugen‘ versuche ich mir diese Dinge vorzustellen, allerdings mit einem Hauch Reife und Strenge, die ich als Erwachsener dazu gelernt habe.“

Also was steht für Aricò als nächstes an? Ihr könnt ihn nächsten Monat in Mailand während des Salone erleben. Noch ist er nicht bereit, genauere Details zu verraten. Und darüber hinaus? „Ich glaube daran, dass die Zukunft etwas Überraschendes und Wunderbares parat hält—dass uns etwas wiederfährt, womit wir nicht rechnen und das unser Leben verändern wird“, meint Aricò. „Ich denke, Design wird weiterhin mit anderen kreativen Disziplinen verschmelzen, wie Kunst, Musik, Kino, Tanz und Theater. Fremdbefruchtung, Weisheit und Expertise im Kunsthandwerk wird alles Monotone beseelen.“

 

 

 

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    • Wava Carpenter

      Wava Carpenter

      Seit ihrem Studium in Designgeschichte an der Parsons School of Design hatte Wava schon in vielen Bereichen der Designkultur den Hut auf: sie lehrte Designwissenschaft, kuratierte Ausstellungen, überwachte Auftragsarbeiten, organisierte Vorträge, schrieb Artikel und erledigte alle möglichen Aufgaben bei Design Miami. Wava lässt den Hut aber im Büro – auf der Straße bevorzugt sie ihre Sonnenbrille.

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