Ein Studiobesuch bei Formafantasma


Innere Ruhe

Von Anna Carnick

Eine zarte Nachdenklichkeit durchdringt die Welt der in Italien geborenen und in den Niederlanden arbeitenden Designer Andrea Trimarchi and Simone Farresin. Die beiden strahlen Intelligenz, Herzlichkeit und Eleganz aus. Etwas an ihrer Haltung und ihrem Auftreten erweckt den Eindruck, sie wären aus einer anderen Zeit von anderswo hier angekommen—ob es sich hierbei um eine romantische Vergangenheit oder eine poetische Zukunft handelt, oder gar beides auf einmal, ist schwer zu sagen.

Trimarchi und Farresin bilden das Team von Formafantasma, eine der faszinierendsten (und gefragtesten) Designstudios von heute. Kürzlich, an einem Sonntagmorgen, hatten wir das Vergnügen, den meditativen Arbeits-Schrägstrich-Wohnsitz des Paares in Amsterdam-Noord zu besichtigen. Der Innenraum eines unscheinbaren Backsteingebäudes, einer ehemaligen Fabrik für die Herstellung von Metallöfen, weist freigelegte Balken und Lichter auf. Die Designer beschreiben die Kulisse als „industriell aber intim“.

Bei Espresso, Süßigkeiten und Klementinen, sprachen Trimarchi und Farresin offen über die fortlaufende Entwicklung ihres Studios und ihrer scheinbar uferlosen Liste verschiedenster Projekte, sowie ihre Liebe für die neue Wahlheimat.

Trimarchi kommt aus Sizilien, “eine der wenigen Regionen [Italiens], die von der industriellen Produktion, das im Norden gang und gebe ist, unberührt ist.“ Farresin kommt aus Veneto, “ein Ort, an dem eigentlich der Großteil der Produktion von Fashionartikeln und Möbeln stattfindet.“ Sie schreiben ihre umfassende Sicht der Disziplin Design ihrer Herkunft aus zwei sehr verschiedenen Städten zu. Das Duo lernte sich in ihrem Grundstudium in Florenz kennen. Sie verbrachten den Hauptteil der letzten zehn Jahre in den Niederländen, davon wiederum die meiste Zeit in Eindhoven, erst als Studenten (während dem Masterstudiengangs an der Design Akademie bildeten sie ein Team; dort lernten sie „sich die richtigen Fragen zu stellen und Projekte strukturiert zu konzipieren“), später als praktizierende Designer und Ausbilder. Im Jahr 2014 zogen sie nach Amsterdam. Heute, zwischen all ihren laufenden Designprojekten lehren sie weiterhin und reisen oft nach Eindhoven.

Kaum ein anderer aus der Designszene arbeitet heute wie diese beiden Designer. Sie haben sich mit Formafantasma einen Namen gemacht, mit stark forschungsorientierten Projekten, die von Volkskunst über Materialforschung bis über Produktherstellung und Installationen reichen. Als Inspirationsquelle dient eine Reihe Orte und Epochen. Ihr Werk belegt einen einmaligen Platz. Es bezieht die Verträumtheit von niederländischem 90er Jahre Design, die strenge Prüfung britischen Designs und die Intimität und Leidenschaft mit ein, für die Italiener so bekannt sind. Sie bewegen sich zwischen selbstgesteuerten Projekten und Aufträgen für Weltklasse Galerien und Klienten wie Fendi, Droog, Lobmeyr und Hermes. Außerdem können sie jedem Thema, dem sie begegnen, einen mitfühlenden aber kritischen Spiegel vorhalten. Ob sie Materialien und Techniken des 18. oder des 19. Jahrhunderts untersuchen—wie bei der Botanica Serie von 2011, für das sie die Frage postulierten und anschließend beantworteten: „Was, wenn das auf Öl (bzw. Plastik) basierende Zeitalter, in dem wir uns befinden, niemals stattfand? Welche natürlichen Materialien würden wir dann verwenden?—oder ob sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur, zwischen regionalen und globalen Kulturen betrachten, ihre Werke weisen eine einzigartige Spannung auf zwischen alternativen, imaginierten Realitäten und den sehr echten historischen, politischen, ökologischen und sozialen Kontexten, in denen sie agieren.

Das Werk der Designer ist gleichzeitig durchdacht und intuitiv. Es ist auch durchgängig frisch und ermöglicht neue Betrachtungsweisen von Design als Disziplin als auch von der gesamten Welt. Das Paar hat selbst angemerkt: „Jedes Mal, wenn wir als Designer ein neues Projekt angehen oder ein Material erforschen, hinterfragen wir als erstes Stereotypen und Klischees.“  Eine der heute einflussreichsten Kuratorinnen im Design, Maria Cristina Didero, beschreibt Formafantasma als „einzigartigstes und überraschendstes kreatives Team der internationalen Designs Szene“.

Das Studio hat soeben ein paar sehr betriebsame—und ziemlich erfolgreiche—Monate hinter sich gelegt, die unter anderem folgende Projekte beinhaltete: Anno Tropico, eine großartige Ausstellung in der Peep Hole in Mailand. Dort zeigten sie 18 Skulpturen, die expressive und funktionale Eigenschaften des Lichts zelebrieren. Eine Schaufenstergestaltung für Maison Hermès Ginza, die Materialien aus Lebensmitteln, wie Reispaper, Tapioka und Salz aus dem Himalaya umfasste. Die Delta Ausstellung in der Gallerio O in Rom, die eine Sammlung an Objekten präsentierte, die von der Stadt Rom inspiriert sind (und für die das Designerduo viel Zeit in den archäologischen Museen der Stadt verbrachte). Außerdem ein Trio von ortsbezogenen Installationen für das 2016 Lexus Design Award an der Salone del Mobile, die von dem neuem Concept Car der japanischen Automarke und dem Thema der Erwartung inspiriert ist.

Formafantasma's installation for Lexus, inspired by the car maker's new LF-FC concept car Image courtesy of Formafantasma

Inmitten der Aufregung scheint jedoch eine Ruhe zu herrschen. Während sie im Studio umher blicken, bemerkt das Paar, dass ihr erst jüngst vollzogener Umzug nach Amsterdam mit einem Wachstum für Formafantasma einherging. Nach Farresin: „Wir bemerkten im Augenblick des Umzugs, dass unser Plan und unser Studio sich veränderten. Einige Jahre waren von Auftragsarbeiten für Klienten geprägt—kommerzielle Arbeiten und sogar Projekte für Industriedesign—und weniger von unseren eigenen Arbeiten. Wir sind darüber sehr glücklich, Als Studio wollten und mussten wir beweisen, dass wir fähig sind und Interesse an verschiedenen Dingen haben. In einem Jahr werden wir uns jedoch erneut [Projekten widmen], die für uns [und für Galerien] bestimmt sind.”

Trimarchi fügt hinzu: “Ich denke es ist sicherlich eine andere Einstellung, wenn man für sich und für Galerien oder [Institutionen] arbeitet. . . [Beispielsweise] wissen wir bereits, dass wir  2017 für die National Gallery in Melbourne eine Auftragsarbeit ausführen werden. Wenn man mit einem Museum zusammenarbeitet, hat man noch mehr Freiheit. Wir freuen uns also sehr, dass dieses Projekt ansteht. Wir wissen bereits, dass es eine lange Studie von Materialien und der Auswirkungen von Metallgewinnung und -konsum sein wird.“

Farresin meint dazu: “Ja, wir wollen nicht nur die Möglichkeiten von Metall als Materialität näher betrachten, sondern auch die mehr politischen und ökonomischen Konsequenzen, die mit einer Metallgewinnung einhergehen. Außerdem werden wir uns wahrscheinlich mit E-Abfall beschäftigen und wie er gehandhabt wird. Der Prozess des Recycling von Elektronik ist verrückt. Vollgeladene Container werden [aus aller Welt] nach China und Afrika transportiert, ihr Inhalt dort recycelt und dann zurück gesendet—das ist so ein aufwendiger Prozess.“

Diese aufgeteilte Zeitachse—die sich zwischen kommerziell und privat motivierten Projekten hin- und her bewegt—scheint dem Studio gut zu tun. Sie bietet ihm nicht nur einen Ausgleich von mentaler und kreativer Beschäftigung, sondern auch Mußestunden, die die beiden Designer für ihre gründliche Recherche und Reflexion benötigen, die ihr Werk heute ausmacht. Auf diese Weise, können Ideen sickern und sich über Zeit entwickeln, auf eine Art und Weise, wie es sonst nicht möglich wäre. Trimarchi meint dazu: “Wir haben beispielsweise vor etwa einem Jahr ein Projekt zu Lava gemacht. Dieses Projekt hatten wir drei, vielleicht vier Jahre zuvor begonnen, vielleicht sogar mehr. [Auch wenn] man nicht wirklich [aktiv] etwas macht, hat man es im Hinterkopf. Das gleiche gilt für das Metallprojekt, das wir für die Nationalgalerie verwirklichen wollen. Wir haben letztes Jahr davon erfahren und es wird 2017 verwirklicht. Es ist [wichtig], sich Zeit zu nehmen, um sich dem Projekt zu nähern.“

Farresin stimmt zu und meint, dass dieses größere Zeitfenster für selbstgesteuerte Projekte ihnen ermöglicht, sich mehr mit dem potenziellen Prozess zu beschäftigen und mit dem größeren Zusammenhang eines jeden Projekts, „damit das Resultat gleich wichtig ist, wie das, was davor gewesen ist.“ Auf diese Weise können sie auch viel darüber nachdenken, was sie in die Welt setzen. „Es ist eine ethische Herausforderung sich in der Position zu befinden, neue Dinge in die Welt zu setzen und mehr Begierden für Menschen zu kreieren“, so Farresin. Denn dafür wird Design verwendet.“ 

Als die Frage fällt, ob der Ortswechsel einen Einfluss auf ihre jüngsten Inspirationen und Werke hat, sind sich die beiden Designer nicht sicher. Ihr neues Studio liegt nördlich des Flusses Ij („Ei“ ausgesprochen) in einer relativ ruhigen Nachbarschaft, abgesondert von dem regen Treiben im Zentrum Amsterdams. „Wir glauben nicht daran, dass man in einer stimulierenden Umgebung leben muss, um kreativ zu sein. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Eine überstimulierende Umgebung beeinträchtigt die Kreativität“ meint Farresin. “Eine der positiven Aspekte von Eindhoven war die Tatsache, dass es wie ein White Cube für den Kopf war. Und ich glaube, das ist am besten. So bleibt der Geist fokussiert. Und jetzt, in diesem Teil der Stadt, sprechen wir kein holländisch und sind immer noch an einem sehr ruhigen Ort, was hilft, eine Art kritische Größe aufzubauen. Ich glaube beispielsweise, dass wir, wenn wir in Italien leben würden, nicht ganz so scharfsinnig wären—weil es einfach zu viele Einflussfaktoren gibt. Ein ruhigerer Ort eignet sich besser, um Klarheit zu schaffen ,die man für Kreativität braucht. Für uns ist Amsterdam ein guter Ausgleich von Privatleben und Entertainment, kulturellen Events usw. aber auch die Ruhe und der introvertierte Anteil exisitiert, der für uns so wichtig ist.“

Weiter meint er: “Die Idee, dass Kreativität mit vielen Einflüssen genährt werden muss, ist wirlich komisch und entspricht auch nicht der Realität. Vor allem in unserem heutigen Zeitalter, indem wir das Internet haben und auch die Möglichkeit der ständigen Überlastung mit Informationen.“

He goes on: “It’s really strange how this idea of creativity that needs to be fed with so many influences is really not real.  Especially now that we have the Internet and this possibility of being constantly overloaded with information.” 

Was also steht für Formafantasma als nächstes an? Neben der Ausstellung in Melbourne steht in näherer Zukunft im August eine Ausstellungseröffnung im Stedeliljk Museum in Amsterdam an, so Trimarchi und Farresin. Desweiteren ist geplant: Sportmax’s Catwalk Präsentation auf der Fashion Week im Oktober, eine Kollektion von Leuchten für Euroluce und die Beteiligung an einer neuen Designschule in Sizilien, die zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Jahr eröffnet wird. Aber in perfekter Formafantasma Manier, sprechen die beiden Designer im graziösen Tönen, sich ihrer selbst bewusst, und immer ihrer Vorgehensweise bedacht.

Wir können es kaum abwarten.

*Dieses Interview wurde überarbeitet und gekürzt.

  • Text by

    • Anna Carnick

      Anna Carnick

      Als ehemalige Redakteurin bei Assouline, der Aperture Foundation, Graphis und Clear feiert Anna die großen Künstler. Ihre Artikel erschienen in mehreren angesehenen Kunst- und Kulturpublikationen und sie hat mehr als 20 Bücher herausgegeben. Sie ist die Autorin von Design Voices und Nendo: 10/10 und hat eine Leidenschaft für ein gutes Picknick.
  • Photos by

    • Tiziana Krüger

      Tiziana Krüger

      Tiziana is a German-born photographer, based in Amsterdam.

Designbegeisterte hier entlang